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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
"Man zeige sich bereit, begangene Fehler zu verzeyhn"
Ein Wegweiser aus dem Jahr 1788
1788 erschien die Erstausgabe von Adolph von Knigges „Über den Umgang mit Menschen“. Auf über 600 Seiten hatte der 35 Jahre junge Freiherr damals zusammengefasst, was ihm an Verhaltensregeln wichtig schien.
Aber: Der „Knigge“ ist mitnichten das Benimmbuch, für das man es heute hält. Dem Freiherrn ging es keineswegs um die Frage, wer wem in den Mantel helfen muss, wann dem Sie ein Du angeboten werden darf oder wo im Verhältnis zur dritten Gabel von rechts bei einem Gedeck das Rotweinglas platziert zu sein hat.
„Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können“, erläuterte Knigge. Mit anderen Worten: Ihm ging es um Respekt untereinander.
Nach 230 Jahren – also bald einem Vierteljahrtausend! - sind viele seiner Ratschläge und Beobachtungen kein schlechter Wegweiser. Wir dürfen annehmen, dass Knigge kaum etwas von Fake „News“, Fachkräftemangel, Twitter oder Mobbing in „sozialen“ Netzwerken ahnte. Gleichwohl: Was er zu Ehrlichkeit, Anerkennung von Können, Geschwätzigkeit und den weitreichenden Folgen eines zu schnell geäußerten Wortes schrieb, ist heute so richtig wie anno 1788.
Knigge lebte nach dem Erscheinen seines „Umgangs“ nur noch acht Jahre. Sein Buch (übrigens nicht sein einziges) erschien bis 1920 in zahlreichen Übersetzungen und über 20 Neuauflagen.
Zeitlose Weisheiten
Ratschläge aus Knigges "Ueber den Umgang mit Menschen" von 1788:
Vor einem grauen Haupte sollst Du aufstehn!
Man vertrauet sich Dem nicht, der immer mit steifem Ernst Gesetz predigt;
Es sollen alle Zwistigkeiten unter Eheleuten nur unter ihren vier Augen ausgemacht werden.
Wo gar keine Sympathie in Denkungsart ist, wo gar keine Einigkeit und Freundschaft herrschen, da betrage man sich höflich gegen einander.
Schäme Dich nie Deines ärmern, weniger hochgeschätzten Freundes!
Klagt Dir ein Freund seine Noth, so höre ihn mit Theilnehmung an! Halte Dich nicht mit Bemerkungen über das, was anders hätte seyn können, auf.
Man muß das Herz haben, Wahrheit zu sagen und Wahrheit anzuhören, auch dann, wenn diese Wahrheit hart ist,
Nie aber lasse Dich zu niederträchtiger Schmeicheley herab, um Wohlthaten zu erschleichen.
Lege auch Andern keine zu große Verbindlichkeit auf!
Vor allen Dingen bessere und demoralisiere die Menschen nicht, rathe ihnen nicht ohne entschiedenen Beruf dazu!
Alte Leute sollen die Freuden der jüngern nicht stöhren.
Man gebe Andern Gelegenheit, sich in vortheilhaftem Lichte zu zeigen!
Sprich nicht von Dingen, die Andre nicht interessieren!
Keine unangenehme Dinge in Erinnerung bringen!
Alte Leute sollen nicht auf eine lächerliche Art jung scheinen wollen.
Nach dem Bruche mit der Geliebten soll man edel handeln.
Man muß den Muth haben, Wahrheit zu sagen und anzuhören.
Man soll sich Nachbarn und Hausgenossen nicht aufdringen, noch ihre Handlungen ausspähn.
Leide nicht, daß Fremde ſich in Deine häuslichen Geschäfte mischen!
Man hüte sich vor zu großen Erwartungen und Forderungen!
Man soll niemand lächerlich machen.
Niemand nekken, zerren, beunruhigen!
Man soll die Mängel Andrer nicht hervorziehn.
Schreibe nicht auf Deine Rechnung das, wovon Andern das Verdienst gebührt!
Man muß sich nicht das Ansehn geben, als gehörte man zu der Classe der Vornehmern.
Sey in der großen Welt zuversichtlich, frey, und mache Dich gelten, doch ohne Unverschämtheit und Prahlerey!
Man soll Wiederspruch ertragen können.
Verflechte niemand in Deine Privat-Zwistigkeiten!
Interessire Dich für andre Menschen!
Gehe eben so vorsichtig, fein, redlich und gerecht mit Dir selber um, als mit Andern!
Respectire Dich selbst, und habe Zuversicht zu Dir selber!
Hilf Dem, der dessen bedarf!
Befördere und schütze Die, welche Dich um Hülfe, Wohlthat und Schutz ansprechen!
Ein geschickter Handwerksmann ist eine der nützlichsten Personen im Staate, und es macht unsern Sitten wenig Ehre, daß wir diesen Stand so geringschätzen.
Man kränke niemand vorsetzlich!
Man sey wohlwollend, dienstfertig, verständig, vorsichtig, grade und ohne Winkelzüge in
allen Handlungen!
Man erlaube sich keinen Schritt zum Nachtheil eines Andern!
Man zerstöhre keines Menschen Glückſeligkeit! Man verleumde niemand!
Werde nie hitzig oder grob gegen Deine Feinde, weder in Gesprächen, noch Schriften!
Man zeige sich tolerant gegen kleine Schwachheiten.
Man zeige sich bereit, begangene Fehler zu verzeyhn und zu entschuldigen, in so fern nur keine Tücke
dabey im Spiele gewesen.
Ein übereiltes mündliches Wort wird wieder vergessen; aber ein geschriebenes kann noch
nach fünfzig Jahren, in Erben Händen, Unheil stiften.
Sey vorsichtig im Tadel und Wiederspruche!
Es giebt wenig Dinge in der Welt, die nicht zwey Seiten haben.
Ehre das Alter!
Suche den Umgang älterer kluger Leute! Verachte nicht den Rath der kältern Vernunft, die Warnung des Erfahrnen!
Thue dem Greise, was Du willst, daß man Dir thun solle, wenn einst Deiner Scheitel Haar versilbert seyn
wird!
Nächst den Pesonen Deiner Familie bist Du am ersten Deinen Nachbarn und Hausgenossen Rath, That und Hülfe schuldig.
Man sey weder zu offenherzig, noch zu verschlossen.
So wenig als möglich soll man Wohlthaten annehmen; lieber immer geben als empfangen.
Erfülle sorgsam jede Deiner Pflichten!
Man soll nicht mehreren Frauenzimmern zugleich einerley Huldigung bezeugen.
Alles, was Deinem Freunde angehört, sey Dir heilig!
Man soll nie durch unedle Schmeicheley Wohlthaten weder erringen, noch vergelten.
Fehlt Dir etwas, hast Du Kummer, Unglück, leidest Du Mangel; so klage Dein Leid, Deine Schwäche niemand, als Dem, der helfen kann.
Rühme aber auch nicht zu laut Deine glückliche Lage!
Also hüte Dich, zu groß zu werden in Deiner Brüder Augen!
Vor allen Dingen wache über Dich, daß Du nie die innere Zuversicht zu dir selbst, das Vertrauen auf Gott, auf gute Menschen und auf das Schicksal verliehrest!
Suche weniger selbst zu glänzen, als Andern Gelegenheit zu geben, sich von vortheilhaften Seiten zu zeigen.
Sey nicht jedermanns Freund und Vertraueter!
Nichts ist erschrecklicher, als wenn Menschen, die täglich miteinander umgehn müssen, in ewigem Zwiste mit einander leben.
Zeige, so viel du kannst, eine immer gleiche, heitere Stirne!
Sey haushälterisch mit Spendung von Worten und Kenntnissen.
Gehe von niemand und laß niemand von Dir, ohne ihm etwas Lehrreiches, oder etwas Verbindliches gesagt und mit auf den Weg gegeben zu haben.
Lerne den Ton der Gesellschaft annehmen, in welcher Du Dich befindest!
Man respectire das, was Andern ehrwürdig ist!
Man lasse Jedem die Freyheit in Meinungen, die wir selbst verlangen!
Man vergesse nicht, daß was wir Aufklärung nennen, Andern vielleicht Verfinsterung scheint!
Man schone die Vorurtheile, die Andern Ruhe gewähren!
Man vergesse nicht, daß Spott nicht bessert.
Suche keinen Menschen, auch die Schwächsten nicht, in Gesellschaften lächerlich zu machen!
Vor allen Dingen aber handle nur stets konsequent!
Es ist nicht gut, wenn eine zu bestimmte Absonderung unter Personen von verschiedenem Alter Statt findet.
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