"Es beginnt im Kopf"
Warum schaffen wir es nicht, uns von Rollenvorstellungen zu verabschieden?
Von Geburt an werden wir in Geschlechterrollen gedrängt. Ein Mädchen hat rosa zu tragen, blau ist für die Jungs reserviert. Im Kleinkindalter dürfen Mädchen mit Barbies spielen, Prinzessinnen sein, den Lippenstift von Mama ausprobieren und in deren High Heels schlüpfen. Ein Junge ist aber kein Junge, wenn er das auch machen möchte, denn er soll sich mit Autos beschäftigen und lieber Fußball spielen. So ist zumindest die grundsätzliche Einteilung, die sich in den Medien und der Werbung auch wiederfinden lassen. Diese überzogenen Rollenbilder sind zwar zum Glück nicht überall präsent, jedoch lässt sich die allgemeine Empfindung darüber, was denn männlich und weiblich ist, überall finden. Kinder wachsen in dem Irrglauben auf, diesen Rollenbildern entsprechen zu müssen und gerade Menschen, die sich keinem oder dem angeborenen Geschlecht nicht zugehörig empfinden, haben es in unserer Gesellschaft schwer. Jeder Mensch unterliegt solchen Geschlechterstereotypen, die gerade zur heutigen Zeit aber nicht mehr der Realität entsprechen.
Daher ist es keine Seltenheit, dass vor allem Frauen, aber eben auch Männer, aufgrund ihres Geschlechtes diskriminiert werden. Das kann von relativ harmlosen Einschätzungen a lá „Frauen können nicht einparken und sind nur an Schminke interessiert" oder "Männer müssen stark sein und lieben Fußball“ zu der immer noch bestehenden Gender Pay Gap führen. Sexismus ist daher also immer noch ein präsentes Thema, dem man jeden Tag begegnet. Von Produkten und Werbung bis hin zu zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen.
"Erfolgreiche Frauen werden diskriminiert"
Die alte Generation: Brigitte Breidenbach, Phys.-techn. Assistentin, 74 J.:
Sexismus im Alltag findet oft keine Beachtung mehr und wird als ganz normal empfunden. Stattdessen wird die sexualisierte Gewalt jetzt in den Fokus gerückt. Vor 35 Jahren waren wir durch die Frauenbewegung sensibilisiert, gegen Sexismus zu protestieren. Dies ist meines Erachtens verloren gegangen. Schon die ständig präsente Werbung, zeigt z.B. die konservative Rollenverteilung und was gut für Frau und Mann ist und wie Frau mit der Alterserscheinung zurecht kommen soll. Auch der Slogan: "Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker" suggeriert, dass es keine kompetenten Ärztinnen und Apothekerinnen gibt. In anderen Bereichen kann man beobachten, dass Frauen mehr Selbstkontrolle und Höflichkeit beweisen müssen. In der katholischen Kirche haben Frauen keine Stimme. Erfolgreiche Frauen werden diskriminiert. Die Kleidung von Politikerinnen ist wichtiger als ihre Aussage. Rollenklischees werden auch weiterhin in Medien, in Romanen und Filmen bedient. Die Liste kann unendlich weiter geführt werden.
Sexismus wird keinen Platz finden, wenn wir Kinder nicht mehr zu Mädchen und Jungen, sondern zu anständigen und liebenswürdigen Menschen mit respektvollem Umgang untereinander erziehen und wenn wir uns trauen, auf sexistische Äußerungen aufmerksam zu machen.
"Allen Menschen mit Respekt begegnen"
Die mittlere Generation: Christoph Belschner, Student, 33 J.
Es ist vielleicht vermessen, als Mann von Sexismus zu reden, da dieser wohl gegenüber Männern nicht in jener strukturellen Form wie gegenüber Frauen auftritt. Nicht selten erzählen mir Freundinnen, dass sie z.B. im Club sexuell belästigt werden oder sich auch auf der Straße Kommentare gefallen lassen müssen. Und wenn sich eine Frau mal nicht schminkt, dann denken alle gleich, sie sei krank. Sexismus gegenüber Männern zeigt sich viel subtiler und ist auf den ersten Blick schwerer zu erkennen. Während die Frau seit Jahren dabei ist, sich zu emanzipieren, steckt der Mann weiterhin in seiner stereotypen Rolle fest. Dass ein Mann heutzutage einen gestählten Körper haben muss, wird einem in klassischen, aber immer häufiger auch in soziale Medien vermittelt. Männer sollen bestimmte Farben tragen, bestimmte Produkte kaufen, bestimmte Hobbies haben. Wer kein Interesse an Fußall hat, wird von anderen Männern schnell kritisch beäugt - und natürlich will die Frau einen selbstbewussten extrovertierten Mann haben, der die Dinge in die Hand nimmt, Emanzipation hin oder her. Dass Männern ihre Männlichkeit aberkannt wird oder sie als schwul betitelt werden, weil sie nicht dem klassischen Stereotyp entsprechen, ist auf jeden Fall eine Form von Sexismus, mit denen mehr Männer zu kämpfen haben, als man vielleicht annehmen würde. Es wird daher Zeit, sich von alten Rollenvorstellungen zu verabschieden und allen Menschen ohne Vorurteile und vor allem mit Respekt, unabhängig von ihren Geschlecht, zu begegnen.
"Mein Körper gehört mir"
Die junge Generation: Ella Reiner, Auszubildende, 20 J.
Mein Körper gehört mir, könnte man meinen. Und doch scheinen andere Menschen ein Anrecht darauf zu haben, ihn zu maßregeln, weil ich eine Frau bin. Wieso werde ich selbst bei unerträglicher Hitze dazu angehalten, mich für die Schule "sittlich" zu kleiden? Anstatt mir zu verbieten, einen kurzen Rock zu tragen, sollte man viel eher bei denjenigen ansetzen, die mich und meinen Körper ungefragt sexualisieren. Ich sehe meine Verantwortung eher darin, mich so zu kleiden, dass ich mich an einem heißen Tag am ehesten wohlfühle, als darin, den Unverschämtheiten anderer vorzubeugen. Noch immer passiert es, dass Schülerinnen nach Hause geschickt werden, um sich umzuziehen. Warum schreibt man das Fehlverhalten nicht eher den Personen zu, die sich derart von den Körpern junger Frauen ablenken lassen? Ich empfinde es als höchst beunruhigend, dass es völlig legitim ist, als erwachsener Mann zu sagen, man könne sich wegen “weiblicher Reize” nicht konzentrieren. Nicht mein Rock ist das Problem, sondern die Menschen, die sich anmaßen, mich zu begaffen, zu kommentieren oder meine Kleidung gar als Einladung zu interpretieren, mich ohne meine Zustimmung anzufassen. Die Sexualisierung beginnt im Kopf Anderer, nicht in meinem Kleiderschrank.
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