"In nahem Kontakt bleiben"
Nele Kreuzer: Jede Generation steht vor ihren eigenen Herausforderungen
Wie sieht eine gute Erziehung aus? Rebecca Strohmeier fragte Nele Kreuzer, Familientherapeutin in der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche in der Westendstraße 193:
"Jugendliche erfinden sich neu"
Was halten Sie von der These, dass die "Jugend von heute" zunehmend respektloser wird?
Nele Kreuzer: „Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“ Möglicherweise empfinden viele Eltern diesen Ausspruch als sehr treffend. Tatsächlich ist diese Aussage von Sokrates, der 470-399 vor Christus gelebt hat. Man sieht daran, dass die Gegensätze zwischen Erwachsenen und Jugendlichen über die Jahrhunderte mehr oder weniger dieselben geblieben sind. Es liegt in der Natur der Jugendlichen, sich von den vorherigen Generationen abzusetzen und sich 'neu zu erfinden' zu wollen.
Die Jugend ist heute nicht besser oder schlechter als früher, nur hat jede Generation ihre speziellen Herausforderungen. Die Herausforderung von heute sind zweifellos die digitalen Medien. Auf Kinder wird heute so viel Augenmerk gerichtet wie noch nie. Ihre Bedürfnisse werden gesehen, es gibt Kinder- und Jugendhilfegesetze, die das Wohl der Kinder und ihre Sicherheit und Förderung gesetzlich festlegen. Die Stadt München und ihre freien Träger bieten eine enorme Vielfalt an Unterstützung und Förderung an. Ferienmaßnahmen, Beratung bei Problemen, ambulante Erziehungshilfe, Kurse bei speziellen Problemen und regelmäßige Elternbriefe sind nur einige wenige Angebote, die Eltern abrufen können.
"Rückspiegel kann hilfreich sein"
Welche Tipps können Sie Eltern in Bezug auf eine "gute" Erziehungsweise für deren Kind mit auf den Weg geben?
Nele Kreuzer: Kinder beim Aufwachsen zusehen zu dürfen bedeutet für die meisten Eltern ein großes Glück. Damit das auch in schwierigen Phasen so bleibt, ist es wichtig, dass sich Eltern mit dem Thema Erziehung bewusst auseinandersetzen. Und zwar zusammen mit ihrem/r Partner/ in. Was braucht mein Kind, um gut aufwachsen zu können? Welche Bedürfnisse hat es? Was können wir als Eltern tun, um diese Bedürfnisse zu erfüllen? Ein Kind braucht nicht nur Nahrung und Kleidung und einen Platz zum Schlafen, sondern es braucht sehr viel Liebe, Aufmerksamkeit, Unterstützung, Schutz aber auch klare Grenzen, den sonst wird es haltlos.
Kein Kind ist schlecht und wenn das Kind einen Regelverstoß begehen sollte, dann hat es oft einen guten Grund dafür, bzw. hat ein Bedürfnis, das nicht anders gestillt werden konnte. Deshalb ist es wichtig für Eltern zu überlegen und ihr Kind zu fragen, warum es etwas getan hat, statt gleich zu schimpfen oder Konsequenzen anzudrohen. Verstehen und manchmal selbst den Rückspiegel einzuschalten (Wie war das denn früher bei mir? Was hätte ich gebraucht?) kann sehr hilfreich sein.
"Zusammen lachen und Spaß haben"
Gibt es aus Ihrer Sicht einen idealen Erziehungstyp?
Nele Kreuzer: Ich selbst finde es das Wichtigste, in einem nahen Kontakt zum eigenen Kind zu bleiben, zu verstehen, was es bewegt, viel mit ihm zusammen zu lachen und Spaß zu haben, aber auch vieles gemeinsam zu erleben, in der Natur, in der Stadt, mit abenteuerlichen Büchern auf dem Sofa. Das wichtigste ist das Band des Vertrauens und der Bindung und das sollte stabil sein, damit ein Kind immer weiß, wo es hingehört und wer ihm Geborgenheit, Schutz und Hilfe gibt, wenn es sie braucht.
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