„Biotop war nicht mehr vorhanden“
Bebauung entlang der Bahn in der Ganzenmüllerstraße ist wohl rechtens

Bebauung statt Biotop: Die Arbeiten auf der Baustelle in der Ganzenmülllerstraße haben begonnen. (Foto: sb)
Wie wichtig ist der Landeshauptstadt München der Artenschutz? Mit dieser Frage hatte sich die Stadtratsfraktion der Grünen/Rosa Liste im Rahmen eines Antrags bereits im August 2019 an die Stadt gewandt. Hintergrund ist die geplante Wohnbebauung auf einem Grundstück in der Ganzenmüllerstraße. Nach Angaben der Grünen sei die Fläche 1998 im Zuge der Arten- und Biotopschutzkartierung als übergeordnetes Biotop kartiert worden, was nicht nur nach Ansicht der Grünen-Stadtratsfraktion, sondern auch der Anwohner gegen den Neubau einer Wohnanlage mit Tiefgarage und einer Kindertagesstätte spricht.
Nun hat das Referat für Stadtplanung und Bauordnung auf den Antrag reagiert. Zuerst müsse man sich für die verspätete Beantwortung entschuldigen. Durch ein Büroversehen sei eine bereits im letzten Jahr vorbereitete Stellungnahme hier liegengeblieben. Wegen einer Nachbarklage sei der Baufall dann zu Gericht gegangen, so dass man die Anfrage aus dem Blick verloren habe und erst durch die Monierung der Fraktion wieder darauf gestoßen sei. Wegen coronabedingter Ausfälle habe sich die Fertigstellung dann nochmals verzögert.
„Dient als Arbeitsgrundlage“
„Die Aufnahme einer Fläche in die amtliche Stadtbiotopkartierung des Bayerischen Landesamtes für Umwelt bedeutet, dass diese Fläche bestimmte naturschutzfachlich relevante Werte aufweist. Dies sind zunächst tatsächliche Erhebungen. Gesetzlichen Schutz besitzt aber nur der Teil der kartierten Lebensräume, der in § 30 Bundesnaturschutzgesetz oder Artikel 23 Bayerisches Naturschutzgesetz aufgeführt ist“, erklärt Elisabeth Merk. Die Biotopkartierung diene somit als Arbeitsgrundlage für Eingriffsplanungen, naturschutzfachliche Planungen und andere Planungen und Vorhaben. Die Biotopkartierung allein kann nach Angaben der Stadtbaurätin die Inanspruchnahme von Bauland nicht hindern. Dies gelte selbst bei gesetzlich geschützten Biotopen, wenn der Eingriff durch Maßnahmen ausgeglichen werden könne oder aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses notwendig sei.
„Keine Festsetzungen“
„Die Inanspruchnahme als Baustelleneinrichtungsfläche musste der Deutschen Bahn im Rahmen des Ausbaus der ICE-Strecke München – Ingolstadt genehmigt werden. Die erforderlichen Vermeidungs-, Wiederherstellungs-, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sind Bestandteil der Unterlagen des Planfeststellungsbeschlusses für diesen Ausbau aus dem Jahr 2001“, so Elisabeth Merk. Seitens des Vorhabenträgers sei die Baustelleneinrichtungsfläche jedoch nicht in die Bilanz des naturschutzrechtlichen Eingriffs und Ausgleichs eingestellt worden, so dass an dieser Stelle keine Festsetzungen für Wiederherstellungs- und Ausgleichsmaßnahmen getroffen werden konnten.
Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung, Untere Naturschutzbehörde, habe im Planfeststellungsverfahren einen entsprechenden Einwand erhoben, der in einer Planänderung berücksichtigt werden sollte. Diese Änderung sei nach langjährigen Verhandlungen dann erst 2014 zustande gekommen. „Der Kompromiss sah vor, lediglich einen relativ schmalen Streifen entlang der Lärmschutzwand als Wiederherstellungsmaßnahme anzulegen. Dieser Streifen wurde schließlich im März 2017 hergestellt“, betont die Stadtbaurätin.
„Keine Rechtsgrundlage“
Die Biotopkartierung stelle eine Arbeitsgrundlage für die Naturschutzbehörden und für Planungen dar. Die besagte Biotopfläche an der Ganzenmüllerstraße genießt laut Elisabeth Mark keinen gesetzlichen Schutz. In Bayern bestehe weder eine allgemeine Genehmigungspflicht für Eingriffe in Natur und Landschaft noch eine allgemeine rechtliche Verpflichtung für Grundstückseigentümer, kartierte Biotope in ihrem Zustand zu erhalten. „Damit besteht auch keine Rechtsgrundlage für entsprechende Überwachungsmaßnahmen, zumal hier die Pflichten aus dem Planfeststellungsverfahren im Jahr 2017 abgearbeitet waren“, erklärt sie weiter.
Arten- und Biotopschutzprogramm
„Historisch betrachtet war zum Zeitpunkt des Vorbescheides das ursprüngliche, 1998 kartierte Biotop durch die Inanspruchnahme als Baustelleneinrichtungsfläche für die Bahn bereits nicht mehr vorhanden, so dass dieser Gesichtspunkt dem Bauvorhaben nicht mehr entgegengehalten werden konnte“, so die Stadtbaurätin. „Auch die Ziele im Arten- und Biotopschutzprogramm der Landeshauptstadt München als Belang des Naturschutzes und der Landschaftspflege sind den Vorhaben nicht entgegengestanden. Das Bauvorhaben wurde nach Beteiligung der Unteren Naturschutzbehörde so gestaltet, dass diese naturschutzfachlichen Ziele im Zusammenhang mit dem im Vorfeld der Lärmschutzwand geschaffenen Vernetzungsstreifen und durch Ausgleichsmaßnahmen auf den Baugrundstücken selbst erreicht werden können.“
„Reines Wohngebiet“
Das Grundstück sei im Flächennutzungsplan als reines Wohngebiet dargestellt. Andere Gesichtspunkte, die dem Vorhaben entgegengestanden hätten, sind nach Angaben des Referats für Stadtplanung und Bauordnung nicht ersichtlich. „Insbesondere war, nachdem sich die Bebauung strukturell an der Umgebungsbebauung orientiert, auch kein Planerfordernis gegeben. Entsprechend dem Flächennutzungsplan konnte das Vorhaben daher nach § 35 Abs. 2 Baugesetzbuch (BauGB) als ‚sonstiges Vorhaben im Außenbereich‘ genehmigt werden.“
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