Vom Förderschüler zum erfolgreichen Künstler
Ein Interview mit den ehemaligen Schülern der Aktion Sonnenschein Julius Hartauer und Patrick Siegl
Lieber Herr Hartauer, lieber Herr Siegl, sagen Sie uns bitte kurz, in welchen Jahren Sie in der inklusiven Montessori-Schule der Aktion Sonnenschein waren?
Julius Hartauer (JH): Ich war vorher in einer anderen Montessori-Grundschule. 2008 kam ich dann in die Klasse 5a der Aktion Sonnenschein und bin hier auch bis einschließlich zur 12. Klasse der Berufsschulstufe geblieben.
Patrick Siegl (PS): Bei mir ist das schon länger her. Ich kam als Erstklässler zum Schuljahr 1999/2000 in die erste Klasse und blieb hier meine ganze Schulzeit bis zur 12. Klasse der Berufsschulstufe 2011. Wir waren beide in der Förderklasse.
Wann zeigte sich bei Ihnen das erste Mal die Liebe zur Kunst?
JH: Bei mir schon im Kindergarten. Ich habe mit Plänen von Straßen und U-Bahnlinien begonnen. Mittlerweile gestalte ich Stadtpläne – gerne von Städten, die ich bereise – und Flughäfen mit Start-, Landebahnen und Terminals. Das werden immer zwei Flughäfen, einer zum Starten und einer zum Landen. Seit meiner Schulzeit interessieren mich aber vor allem Kalender der Zukunft, so genannte „Ewige Kalender“ mit ganz vielen Jahren. Spannend sind für mich die sich verändernden Feiertage und Ferien wie Vatertag, Pfingsten, Fasching oder Ostern. Die Sommerferien, Winterferien und Herbstferien sind in Bayern immer gleich, also auch in meinen Kalendern.
PS: Ich fand während meiner Schulzeit zur Kunst. Auslöser war das Online-Rollenspiel „Guild Wars Factions“. Der Hintergrund besteht aus asiatischen Tempeln, mit verschachtelten Dach-Etagen. Das wollte ich unbedingt nachmalen. Auch wenn diese Kopie nicht exakt war, sah sie trotzdem gut aus und hat mich motiviert. Später fand ich auch dank des Kunstunterrichts der Schule zu neuen Motiven, z.B. osmanischer oder antiker römischer Architektur. Derzeit arbeite ich viel mit Kratzbildern. Dabei ritze ich Motive mit einer Nadel in eine Acrylplatte. In die daraus entstehenden Vertiefungen wird schwarze Ölfarbe eingewalzt und anschließend koloriere ich das Ganze mit Buntstiften. So habe ich z.B. die Danziger Altstadt mit ihren Giebel-Barockhäusern dargestellt.
Mittlerweile sind Sie erfolgreiche Künstler, Ihre Gemälde wurden bereits im Buchheim Museum ausgestellt und sie werden auf dem Kunstmarkt mit bis zu fünfstelligen Beträgen gehandelt. Wo entstehen Ihre Werke? In einem Atelier?
PS: Ja, Julius und ich arbeiten in einem Atelier. Es ist der Behindertenwerkstatt für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen des Augustinum in Oberschleißheim angegliedert. Herr Mecherlein leitet dieses „Atelier Augustinum“, ich arbeite dort seit dem 5. September 2011. Es ist die einzige Behindertenwerkstatt mit eigenem Atelier in ganz Bayern.
JH: Und ich seit dem 5. September 2016. Das Team mit und um Herrn Mecherlein setzt die klasse Arbeit der Montessori-Schule super fort.
In der Montessori-Pädagogik spielt das Fördern von Kreativität eine entscheidende Rolle. Kunst wird dabei sogar als Therapie eingesetzt. Haben Sie den Eindruck, dass Ihnen die Kunst geholfen hat, mit Ängsten oder Ihren Einschränkungen besser umzugehen?
PS: Absolut! Durch die Montessori-Materialien und die Hilfe der Lehrer konnte ich meine Deutsch-Schwächen deutlich verbessern. Nur mit der Amtssprache tue ich mich heute noch etwas schwer.
JH: Bei mir war es genauso. Vor allem weil sich die Lehrer so viel Zeit genommen haben für Erklärungen, wurde das Lernen leichter. Ich durfte immer nachfragen und sie haben es so lange wiederholt, bis ich es verstanden hatte.
Hat das Ihr Selbstvertrauen gestärkt?
P.S.: Ja, das war ganz wichtig für mich. Vor allem in der Pubertät hatte ich viele Ängste. Ich muss aber auch die anderen Kinder loben, ich hatte ja Kontakt zu den b-, c- und d-Klassen (Inklusionsklassen der inklusiven Montessori-Schule der Aktion Sonnenschein/ Anm.d.Red.). Ich wurde immer genauso behandelt wie alle anderen auch.
JH: Der Kontakt zu den anderen Klassen der Jahrgangsstufe war ganz wichtig. Die Mitschüler haben mich voll akzeptiert. Unglaublich schön! In der anderen Grundschule war das nämlich anders, da wurde ich wegen meiner Art richtig gemobbt.
Würden Sie sagen, dass der inklusive Unterricht Sie als Künstler positiv beeinflusst hat?
JH: Ich wurde hier immer gefördert und ermutigt, Neues auszuprobieren. Montessori-Schulen setze ich deshalb gerne in meinen Straßen- oder Ortsplänen als Haltestelle ein. Denn an Haltestellen kann man umsteigen und in andere Richtungen weiterfahren: Das ist für mich das Wichtigste!
PS: Ich profitiere als Künstler heute sehr vom Kunst- und Handwerksunterricht. Die Möglichkeit, mich in Kunst auszudrücken oder wie ich Ideen weiterentwickeln kann, wurde mir in der Schule gegeben. Hier wurde die Grundlage dafür gelegt, dass ich heute so erfolgreich bin und meine Kunst weggeht wie warme Semmeln.
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