"Unser Fußabdruck ist immer noch viel zu hoch"
1. Münchner Nachhaltigkeitskongress will die lohnendsten Handlungsansätze für unsere Stadt finden

Elisabeth Merk. (Foto: Michael Nagy Presseamt)
München als lebenswerte Stadt erhalten und zukunftsfähiger machen – dieser Aufgabe stellen sich Engagierte am Montag, 4. Februar beim 1. Münchner Nachhaltigkeitskongress SUSTAIN in der Alten Kongresshalle (von 8.30 bis 18 Uhr auf der Theresienhöhe).
Einen ganzen Tag lang soll um Ideen und die lohnendsten Handlungsansätze für ein nachhaltigeres München gerungen werden. Impulse und Diskussionen, Analysen und Perspektiven und die Arbeit in acht "Themen-Manufakturen" versprechen einen offenen, lebendigen, abwechslungsreichen und inhaltlich inspirierenden Kongress. Bereits am Vorabend erfolgt unter dem Motto „Time is Honey“ ein nachdenklich-humorvoller Einstieg ins Thema durch Prof. Dr. Harald Lesch und weitere Gäste.
40 Initiativen ziehen an einem Strang
MIN ist ein Zusammenschluss von über 40 Initiativen und Institutionen und konnte neben dem Oberbürgermeister weitere drei Referenten der Verwaltungsspitze gewinnen: Stadtbaurätin Prof. Dr. Elisabeth Merk, Umweltreferentin Stefanie Jacobs und Kurt Kapp (Referat für Arbeit und Wirtschaft). Zur Agenda 2030 sprechen die Soziologin Prof. Dr. Cordula Kropp und Prof. Dr. Manfred Miosga. „Mit gebündelten Kräften und breiten Allianzen möchten wir in unserer Stadt noch mehr in Bewegung bringen und die Umsetzung nachhaltiger Konzepte vorantreiben“, erläutert Thomas Ködelpeter von der Ökologischen Akademie Linden, einer von drei Sprechern von MIN. Denn: "Unser Fußabdruck ist immer noch viel zu hoch", wie MIN-Sprecherin Katharina Habersbrunner zusammenfasst.
Mit-Sprecherin Carmen Paul, geschäftsführende Vorständin der BürgerStiftung München, ergänzt: „Im Mittelpunkt der Veranstaltung stehen acht Manufakturen zu Themen wie Klimaschutz, Verkehr, Bodenpolitik, Wirtschaft, Ernährung, Bildung, Gerechtigkeit und Partizipation“. Die Manufakturen führen die Akteure aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammen. Bereits im Vorfeld wurden je Themenfeld erste Stärken und Schwächen analysiert und Handlungsansätze zusammengetragen. Eine Weiterarbeit an den Themen nach dem Kongress ist das Ziel.
Was ist eine Manufaktur?
MIN hat die Ziele der Agenda 2030 mit den dringlichsten Herausforderungen für die Stadt verknüpft und dazu acht ressort-übergreifende "Manufakturen" initiiert. Diese Handlungsfelder sind:
Klimaschutz und erneuerbare Energien
Verkehr und Mobilität
Nachhaltige Stadtentwicklung und Umwelt, Bodenpolitik / Wohnen / Mieten
Wirtschaft und Arbeitswelt
Ernährung und Landwirtschaft, Gesundheit, Wasser und Konsum
Bildung für nachhaltige Entwicklung und Globales Lernen
Ungleichheit, Armut bekämpfen, Geschlechtergerechtigkei t und Menschenrechte fördern
Bürgerbeteiligung und Partizipation
Ansehen, zuhören, mitmachen
Wer sich angesprochen fühlt, im jeweiligen Themenfeld mitzuarbeiten, ist willkommen. Nähere Informationen und Anmeldung sowie das Kongressprogramm unter: www.m-i-n.net.
Wie geht Nachhaltigkeit im Alltag?
Die Wochenanzeiger haben Kongress-Teilnehmer gefragt: Was kann ein Bürger in München im Alltag tun, um zu mehr Nachhaltigkeit beizutragen?
"Wir haben konkrete Tipps zusammengestellt"
Stephanie Jacobs, Referentin für Gesundheit und Umwelt in München:
Am 1. August 2018 war Weltüberlastungstag. Das heißt: Die Menschheit hatte zu diesem Tag alle Ressourcen aufgebraucht, welche die Natur in einem Jahr wiederherstellen kann. Den Rest des Jahres lebten wir über unsere Verhältnisse und auf Kosten der kommenden Generationen. Wenn man bedenkt, dass es im Jahr 2000 noch der 1. November war, ist der 1. August 2018 das früheste Datum seit Beginn der Berechnungen in 1970! Das kann so nicht weitergehen! Insbesondere nicht, wenn es doch relativ einfach ist, nachhaltig zu leben. Der 1. Münchner Nachhaltigkeitskongress am 4. Februar zeigt dazu praktische Beispiele auf.
Ich empfehle Ihnen aber auch einen Blick auf www.coolcity.de: Hier haben wir 10 konkrete Klimaschutztipps und viele Angebote für ein umweltfreundliches Leben in München zusammengestellt. Dort können Sie sich zum Beispiel für die Stromsparprämie anmelden. Darüber hinaus unterstützen wir Sie sogar finanziell, wenn Sie ein E-Lastenrad oder einen Elektroroller kaufen möchten. Informationen dazu finden Sie auf muenchen.de/emobil.
"Technische Geräte so lange wie möglich nutzen"
Katharina Habersbrunner MIN-Sprecherin, Energiereferentin:
Nachhaltiges Verhalten hängt stark von Lebenssituation und Geldbeutel ab. Wir alle können beitragen: Beim Einkaufen auf soziale und ökologische Aspekte achten, bewusster und vor allem weniger kaufen, konsumieren. Das entsprechende Angebot an Läden und Bauernmärkten haben wir in München. Mit der richtigen Kleidung radel ich fast das ganze Jahr in die Arbeit. Wir beziehen Ökostrom und ich achte darauf, keine Lebensmittel wegzuwerfen. Viele v.a. technische Geräte so lange wie möglich zu nutzen, sorgfältig behandeln und reparieren. Bei der Urlaubsplanung berechnen wir schon mal unsere CO2-Bilanz, v.a. die Kinder wollen mit Bahn und Fahrrad im Urlaub unterwegs sein. Berufliche Flugreisen bringen mich da in Erklärungsnot.
Ich will den Plastikmüll für unsere fünfköpfige Familie weiter reduzieren. Das ist gar nicht so einfach. Bei der Kinder-Erziehung achten wir darauf, dass sie offen sind für Themen wie soziale Gerechtigkeit, Artenschutz, weniger Fleisch essen, aber ohne zu großen Druck, damit die „Bio-Eltern“ nicht peinlich werden.
In München gibt es tolle Organisationen, die sich für Geflüchtete, weniger Plastik, Foodsharing, etc. einsetzen. Da ist für jeden was dabei. Das Engagement wird sichtbarer. Mein Mann engagiert sich ehrenamtlich im Naturschutz und ich im Bereich Erneuerbare Energien. Aber unser Fußabdruck ist immer noch viel zu hoch, dazu braucht es weitreichendere Veränderungen.
"Gegenseitigen Unterstützung in schwierigen Lebenssituationen"
Erich Eisenstecken, Soziologe, Selbsthilfezentrum München:
Jede Bürgerin und jeder Bürger, der sich im sozialen Bereich freiwillig engagiert, ob in der Stadtteilinitiative, in der Nachbarschaftshilfe, im Altenheim, im Flüchtlingshelferkreis in der Selbsthilfegruppe, trägt zum sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft bei, in dem er hilfebedürftige Menschen unterstützt, benachteiligten Gruppen mehr Teilhabe am gesellschaftllichen Leben ermöglicht, Menschen, die, aus anderen Kulturen kommen, die Integration in die Gemeinschaft erleichtert oder einfach zur gegenseitigen Unterstützung in schwierigen Lebenssituationen beiträgt. Empathie und soziale Solidarität sind zentrale Voraussetzungen für eine sozial nachhaltige Entwicklung einer Gesellschaft, in der alle eine faire Chance für ihre persönliche Entfaltung erhalten, auf der Grundlage der allgemeinen Menschenrechte.
"Die nicht-nachhaltige „Normalität“ in Frage stellen"
Prof. Dr. Cordula Kropp, Institut für Sozialwissenschaften, Universität Stuttgart:
Wer heute explizit klimafreundlich handelt, verändert wirkungsvoll die soziale Realität! Werden also bspw. Entscheidungen über Reiseziele, Konsumgüter oder die Verkehrsmittelwahl im sozialen Umfeld entsprechend begründet, trägt das dazu bei, die nicht-nachhaltige „Normalität“ in Frage zu stellen. Das entzieht klima- und umweltschädlichen Handlungsweisen, aber vor allem solchen Angeboten und ihrer bequemen Nutzung die Selbstverständlichkeit und Legitimität. Damit trägt es zur Entwicklung und zum Ausbau nachhaltiger Alternativen bei. Die Bürgerinnen und Bürger können also ihren Teil zur notwendigen Veränderung unmittelbar beitragen. Das entlastet aber die verantwortlichen Entscheidungsträger in Politik, Verwaltung und Wirtschaft nicht, die für nachhaltiges Handeln notwendigen, systematischen Strukturveränderungen jetzt und hier auf den Weg zu bringen.
"Es gibt ein Bündel von guten Ideen"
Kurt Kapp, kommissarischer Leiter des Referats für Arbeit und Wirtschaft in München:
Was kann man im Alltag für mehr Nachhaltigkeit tun? Sehr viel: Die Palette reicht von der Wahl des Verkehrsmittels über das Energiesparen bis hin zur Wahl einer nachhaltigen Geldanlage. Ob zuhause oder am Arbeitsplatz: Es gibt ein Bündel von guten Ideen für nachhaltige Lebens- oder Arbeitsplatzgestaltung.
Gerade hier setzt die Stadt mit eigenen Programmen an und bietet seit vielen Jahren den Münchner Betrieben Unterstützung für die Umsetzung von Lösungen zum nachhaltigen Wirtschaften an. Stichworte sind Energieeffizienz, betrieblicher Verkehr, Abfallvermeidung. Dafür bieten wir Programme an, von denen Umwelt und Unternehmen gleichzeitig profitieren. Beispiele sind das Betriebliche Mobilitätsmanagement oder ÖKOPROFIT, ein Umweltmanagementprogramm. Dabei werden auch die Beschäftigten von Münchner Unternehmen zu nachhaltigem Verhalten am Arbeitsplatz motiviert und erfahren, wie man Anregungen und Tipps zuhause umsetzt.
"Fahren Sie öfter mit Bus und Bahn!"
Prof. Elisabeth Merk, Stadtbaurätin in München:
Für einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit im Alltag empfehle ich, unser breites Angebot an öffentlichen Transportmitteln zu nutzen. Verzichten Sie auf das Auto und fahren Sie öfter mit Bus und Bahn! Denn die Alternativen in München sind vielfältig, um sich ohne privates Auto in der Freizeit, beim Einkaufen oder während der Arbeit in der Stadt zu bewegen. Eine Stadt wie München bietet ein großes dezentrales Angebot von Gütern, vor allem bei der Versorgung mit Lebensmitteln und Dienstleistungen, die im Stadtquartier gelegen und meist fußläufig zu erreichen sind. Und wenn der Weg zu Fuß zu weit ist, nutzen Sie das im ganzen Stadtgebiet vorhandene Spektrum der Leihysteme für Fahrräder, Roller, Pedelecs, Transportfahrräder und die Carsharing-Angebote. Persönlich habe ich mir vorgenommen, keine „To go“-Produkte mehr zu kaufen und häufiger zu Fuß zu gehen.
"Diese Welt im Kleinen und Großen selbst positiv gestalten"
Thomas Ködelpeter, MIN-Sprecher, Ökologische Akademie Linden:
Oft sind wir verunsichert, ärgern uns über krank machende Luft, Verdrängung durch zu hohe Mieten, aggressives Verhalten und Gewalt in der Sprache oder über Politiker und Parteien, denen Gewinne von Unternehmen wichtiger sind als unsere Gesundheit und das Klima. Wie wäre es, wenn wir unseren Ärger und Zorn ernst nähmen, uns kundig machen würden und im Gespräch mit Anderen herausfänden, dass wir diese Welt im Kleinen und Großen selbst positiv gestalten können?
"Was kann ich mitgestalten und mitverantworten?"
Irmtraud Lechner, MAGS (Münchner Aktionswerkstatt Gesundheit):
Nachhaltig in München leben heißt, die Millionenstadt und sich selbst klein und global zu sehen: Welche ökologische und menschenrechtliche Spur ziehen die Konsumgüter hinter sich her, die ich im Alltag "unbedingt" brauche? Und was kann ich alles mitgestalten und mitverantworten, um für ein gesundes Wohnumfeld für alle zu sorgen? Je informierter und gleichberechtigter die Antworten ausfallen, desto nachhaltiger könnte sich München entwickeln.
"Gemeinschaft spüren"
Barbara Wolter, Bürgerstiftung:
Was kann ein Bürger in München im Alltag tun, um zu mehr Nachhaltigkeit beizutragen? Zuhören, Gemeinschaft spüren, sich engagieren!
"Möglichst wenig Lebensmittel wegwerfen"
Carmen Paul, BürgerStiftung München (geschäftsführender Vorstand), MIN-Sprecherin:
Nachhaltiger leben ist eine Herausforderung für uns alle. Ich halte es für wichtig, dass man damit anfängt, die Dinge zu tun, die einem in der persönlichen Lebenssituation einfach machbar erscheinen. Für mich und meine Familie heißt das zum Beispiel, dass wir möglichst wenig Lebensmittel wegwerfen, gesünder und regionaler einkaufen, weniger Fleisch essen als früher und insgesamt bewusster und weniger konsumieren. Wir versuchen, Plastik zu vermeiden, Strom zu sparen und wann immer es geht, auf das Auto zu verzichten. Seit zwei Jahren unternehmen wir privat keine Flugreisen mehr. Zugegebenermaßen ist das eine Entscheidung, die uns manchmal noch schwerfällt. Als Bürgerstiftlerin möchte ich darüber hinaus auch hier vor Ort meinen Beitrag leisten und engagiere mich für MIN - Münchner Initiative Nachhaltigkeit. Wer dies ebenso tun möchte, kann sich auf www.m-i-n.net informieren.
"MIN bietet eine Plattform des Austauschs"
Mona Fuchs, Geschäftsführerin Netzwerk Klimaherbst e.V.:
Der Nachhaltigkeitsaspekt sollte das Entscheidungsbarometer für sämtliche zukunftsträchtige Entscheidungen sein. Die Agenda 2030 mit den 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen liefert hier ein hervorragendes und umfassendes Instrument zur Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung. Die Landeshauptstadt geht hier mit mutigen Beschlüssen (Klimaneutralität 2050 etc.) voran, doch die konkreten Maßnahmen lassen noch auf sich warten. Die dringlichsten Handlungsbereiche zeigt der Nachhaltigkeitsbericht aus 2014, doch eine darauf basierende Strategie existiert noch nicht. MIN bietet eine Plattform des Austauschs von Verwaltung, Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, um in einem partizipativen Prozess gemeinsame Maßnahmenvorschläge zu erarbeiten. Ich freue mich, Teil dieser Plattform zu sein und München gemeinsam zukunftsfähig zu machen.
"Wechselwirkungen erkennen"
Annette Rinn, BenE München e.V., Vorstand:
Die Ziele der nachhaltigen Entwicklung sind alle komplex miteinander vernetzt, daher ist es zwingend wichtig, zu lernen, wie wir unsere Entscheidungen systemisch treffen können, um die Wechselwirkungen zu erkennen. Ein Münchner, Frederic Vester, hat auf diese Notwendigkeit "Vernetztes Denken" schon in den 70ern aufmerksam gemacht.
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