"Sterben geht uns alle an"
Ein Gespräch mit E. Katharina Rizzi vom Hospizdienst DaSein e.V.
Bis zuletzt in der vertrauten Umgebung zu leben und zu sterben – das wünschen sich die meisten Menschen. Der Hospizdienst DaSein e.V. setzt sich genau dafür ein. Er berät und betreut schwer erkrankte Menschen und deren Angehörige. Im Mittelpunkt der Arbeit steht dabei, die bestmögliche Lebensqualität der Betroffenen zu erhalten und ihnen ein selbstbestimmtes Leben bis zuletzt zu ermöglichen. Tanja Beetz sprach mit DaSein-Geschäftsführerin E. Katharina Rizzi über Hilfe in schweren Zeiten, ehrenamtliche Unterstützung und ein stationäres Hospiz.
"Mehr menschliche Zuwendung"
Seit wann gibt es den Hospizdienst DaSein e.V. und wie kam es zu seiner Gründung?
E. Katharina Rizzi: Den Hospizdienst DaSein gibt es schon seit 1991. Nächstes Jahr feiern wir also unser 30-jähriges Bestehen. In den 1990er Jahren war die Hospizarbeit in Deutschland größtenteils noch eine ehrenamtliche Bürgerbewegung. Wir haben uns sehr dafür engagiert, dass für sterbende Menschen und deren Angehörige im zunehmend hochtechnisierten Gesundheitswesen auch wieder mehr menschliche Zuwendung am Lebensende möglich wird. Und so hat die Gründung von DaSein damals buchstäblich in einem Wohnzimmer in Schwabing stattgefunden. Ich selbst kam über persönliche Erfahrungen zur Hospizbewegung. Und ich habe hier erlebt, dass sich meine Fähigkeiten, mit existentiellem Leid umzugehen, gut in die Hospizarbeit einbringen ließen.
"Eine unbeschreibliche Erleichterung"
Ist ein "gutes" Sterben möglich? Wie können Sie sowohl Patienten als auch deren Angehörigen helfen?
E. Katharina Rizzi: Das sogenannte "gute" Sterben halte ich für eine irreführende Beschreibung. Mit unserem Team von 25 hochqualifizierten Palliative-Care-Fachkräften aus Medizin und Pflege können wir sehr viel dazu beitragen, dass Schmerzen, Atemnot, Ängste und alle anderen belastenden Symptome weitestgehend gelindert werden. Das ist unsagbar wichtig am Lebensende. Die meisten Menschen fürchten sich sehr vor Schmerzen und Atemnot. Und viele wissen nicht, dass wir hier medizinisch so helfen können, dass es für sie "gut" oder mindestens erträglich ist. Zu erleben, dass das möglich ist, ist für die meisten Patienten und deren Angehörige eine unbeschreibliche Erleichterung.
"Ein enormer Schatz"
Unsere Gesellschaft wäre ein gutes Stück ärmer, gäbe es nicht die Hilfe von Ehrenamtlichen. Wie wichtig ist für Ihren Verein die ehrenamtliche Unterstützung? Wie viele Ehrenamtliche sind derzeit bei Ihnen tätig?
E. Katharina Rizzi: Aktuell engagieren sich bei uns rund 70 ehrenamtliche Hospizbegleiter – sie alle haben eine circa einjährige Vorbereitungsphase auf diese Tätigkeit durchlaufen. Diese Menschen bringen sehr, sehr unterschiedliche Fähigkeiten, soziale Hintergründe, Berufs- und Lebenserfahrungen, und auch unterschiedliche kulturelle Hintergründe mit. Diese Vielfalt ist in mehrfacher Weise ein enormer Schatz, denn so können wir immer jemanden finden, der zu den individuellen Bedürfnissen der Patienten und ihrer Angehörigen passt. Darauf zielt auch bereits die Vorbereitung der ehrenamtlichen Hospizbegleiter ab. Die Teilnehmer lernen, nicht wegzuschauen oder gar wegzulaufen, wenn es schwierig wird. Da zu sein. Da zu bleiben. Das ist eine unschätzbar wichtige Fähigkeit im Umgang mit Sterbenden. Eine besondere Kostbarkeit, die vor allem unsere Ehrenamtlichen einbringen, ist aber auch die Zeit. Wer hat heute noch Zeit – wenn man mal von dem durch die Corona-Krise erzwungenen gesellschaftlichen Stillstand absieht? Einsamkeit ist eines der schrecklichsten Erlebnisse für Menschen in ihrer letzten Lebensphase. Doch unsere ehrenamtlichen Hospizbegleiter nehmen sich die Zeit. Das kann zum Beispiel eine stille Tag- oder Nachtwache sein, damit Angehörige auch mal durchschlafen oder einen Einkauf machen können. Das können aber auch Gespräche, Spaziergänge und Vorlesen sein. Gemeinsames Lachen und Weinen nicht zu vergessen.
"Das ist deutlich zu wenig"
Der Verein plant den Bau eines stationären Hospizes. Wie muss so eine Einrichtung aussehen und wie konkret sind die Planungen?
E. Katharina Rizzi: Ja, München hat mit seinen rund 1,5 Millionen Einwohnern gerade mal 28 stationäre Hospizbetten. Das ist deutlich zu wenig. Denn trotz der guten ambulanten hospizlichen und palliativen Versorgung gibt es Situationen, in denen ein würdiges Sterben zu Hause nicht möglich ist. Wenn zum Beispiel die räumlichen Verhältnisse zu beengt sind oder wenn die Angehörigen sich das schlicht nicht länger zutrauen. Dafür brauchen wir dringend mehr stationäre Hospizangebote. Wir wollen das Thema Sterben und Tod wieder mehr ins Bewusstsein rücken. Dafür ist es gut, wenn das Hospiz nicht am Stadtrand beheimatet ist. Wir wollen dem Sterben ein Zuhause geben, da wo die Menschen auch leben. Dafür haben wir schon recht konkrete Planungen. Ein Architekturwettbewerb unter Studierenden hat uns phantastische Ideen geliefert. Aktuell sind wir auf der Suche nach einem Baugrundstück oder einer geeigneten Bestandsimmobilie, damit wir in unserem Jubiläumsjahr 2021 in die Umsetzung gehen können. Denn Sterben geht uns alle an. Und nicht erst, wenn wir alt sind.
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