"Sie war nicht verbittert"
"Letzte Lieder" erzählen vom nahen Tod - und vom Leben
"Ich fühle mich beschenkt, dass ich diesen Menschen begegnen darf", erzählt Stefan Weiller. "Ich bin dankbar für ihr Vertrauen und für ihre Zeit." Der Autor traf über Monate hinweg immer wieder Menschen, die vom Christophorus Hospiz Verein (CHV) auf ihrem letzten Weg begleitet werden und sprach mit ihnen: über die Lieder, die ihnen viel bedeuten, und über die Geschichten dahinter.
Die Menschen, mit denen Weiller in München gesprochen hat, leben nicht mehr. Ihre "musikalischen Vermächtnisse" werden am Samstag, 7. Oktober, um 19.30 Uhr in der Lukaskirche (Mariannenplatz 3) aufgeführt und ihre Geschichten dazu erzählt.
"Und die Welt steht still ... Letzte Lieder und Geschichten am Lebensende" ist der Titel dieses ungewöhnlichen Kunstprojekts. Die Besucher erwartet eine bewegende Aufführung zwischen choreografiertem Live-Konzert, Theater, Lesung, Tanz und Video-Installation von Schlager und türkischem Euro-Disco über Pop bis Klassik und Stille, die berührt und scheinbar widersprüchliche Gefühle wie Trauer, Dankbarkeit, Angst, Heiterkeit, Zuversicht und Schmerz vereint - und die vom nahen Tod, aber vor allem vom Leben erzählt.
"Nicht einschüchtern lassen"
Was sind das für Lieder? "Es ist die Musik, die das Leben bunter, leichter macht", sagt Weiller, "Musik, an die sich Menschen erinnern, denen nichr mehr viel Zeit bleibt." Eine seiner Gesprächspartnerinnen hat sich "Streets of Philadelphia" ausgesucht. Für Weiller beschreibt der Song ein ganzes Leben: "Sie hat sich trotz vieler Schwierigkeiten nicht unterkriegen lassen", erinnert er sich an die Frau, die an Krebs erkrankt war. "Sie war nicht verbittert, sondern von beeindruckender Kraft. Sie hat sich vom Sterben nicht einschüchtern lassen." Das Bruce-Springsteen-Stück legte sie an manchen Abenden 15-mal hintereinander auf und tanzte dazu - am 7. Oktober wird es in der Lukaskirche gespielt.
"Beides gehört zusammen"
"Der Tod und das Leben gehören zusammen", unterstreicht Marianne Sägebrecht. Sie unterstützt den CHV als Patin und wirkt an dem Konzertabend mit. Dass es immer weniger Platz für Friedhöfe und mehr und mehr anonyme Bestattungen gibt, findet sie erschreckend.
Leonhard Wagner (Geschäftsführer CHV) ist daher dankbar, dass der Konzertabend möglich ist und dass die Lukaskirche ihre Türen dafür geöffnet hat. "Sterben ist ein Teil des Leben", sagt er, "wir wollen das Thema in die Gesellschaft holen!" Ulrich Heller (Leiter des stationären Hospizes, CHV) ist ebenfalls froh über das Kunstprojekt, das man seit einem Jahr vorbereite: "Damit können wir die Menschen auf andere Weise mit dem Themen Sterben und Tod konfrontieren."
"Viele Menschen haben Berührungängste, wenn es um diese Themen geht", weiß Weiller. Auch Beate Frankenberger, Pfarrerin der Lukaskirche, kennt das. "Der Tod ist vielen fast peinlich", beobachtet sie. "Man hat Angst, dass das Thema zu sehr in die Mitte rückt und schiebt es an den Rand. Aber Trauer braucht ihren Raum - das wissen viele Menschen nicht mehr."
"Bewegend und oft saukomisch"
Dabei wendet das Konzert den Blick nicht vom Leben ab. "Es geht um Menschen, die in der Mitte des Lebens stehen!", so Weiller. Das Konzert in der Lukaskirche werde "keine Trauerveranstaltung, sondern ein Spiegel dessen, was die Menschen erlebt haben." Die Lieder seien daher mitnichten düster und deprimierend, sondern unterhaltsam, sinnlich und in weiten Teilen leicht, hell, humorvoll. "Es gibt unheimlich viel Humor in ihnen", sagt Weiller, "sie sind tief bewegend - und über weite Strecken saukomisch!"
Wertvolle Arbeit
Im Zentrum des Abends - und der Hospizarbeit generell - steht die Frage nach der Lebensqualität: "Die ist in jeder Lebensphase möglich!" betont Weiller. Die Menschen sollen ihre Eigenständigkeit bewahren können; sie sollen sie selbst bleiben können. Die Hospizarbeit mache das möglich, so Weiller, "das macht sie so wertvoll."
Die Geschichten, die entstanden sind, sind für ihn nicht nur berührend, sondern auch spannend. "Natürlich müssen wir zum Lebensende hin nicht alle Philosophen werden", meint er, "aber am Lebensende richten viele Menschen ihre Perspektive auf die wirklich wichtigen Dinge des Lebens neu aus." Das Projekt gebe Impulse. Viele Besucher empfinden das so, hat Weiller in anderen Städten, in denen er ähnliche Konzerte auf die Beine stellte, erfahren. "Seltsam glücklich" beschreiben sich manche Gäste nach solchen Konzerten. "Das ist großartig!" freut sich Weiller. Die Münchner "Letzten Lieder" soll es daher nicht nur dieses eine Mal geben.
Die Schirmherrschaft haben Oberbürgermeister Dieter Reiter und Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler übernommen. Der Eintritt ist frei. Um Spenden für die Arbeit des CHV wird gebeten.
Professionelle Aufführung
Bei der Aufführung in der Lukaskirche wirken an die 100 Künstler ehrenamtlich mit:
Marianne Sägebrecht
Christoph Maria Herbst
Lukas-Chor München unter Leitung von Tobias Frank
Benjamin Beck (Viola)
Mareike Bender (Mezzosopran)
Franziska Brandis (Cello)
Theo Degler (Akkordeon)
Julian Habermann (Tenor)
Kilian Haiber Band
Anna-Sophia Lang (Violine)
Monica Rincon (Harfe)
Ralf Sach (Klavier, Orgel, musikal. Gesamtleitung)
Christina Schmid (Sopran)
Christian Undisz (Kontrabass)
Heike Wagner (Klavier)
Prof. Matthias Weber (Kontrabass)
Lucia Aran (Tanz)
Birgitta Assheuer (Rezitation).
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