"Not macht bekanntlich erfinderisch"
Gastronomie und Hotellerie wünschen sich eine langfristige, vorausschauende Perspektive
Der Bayerische Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA Bayern e.V. ist der Unternehmer- und Wirtschaftsverband der gesamten Hotellerie und Gastronomie in Bayern. Christian Schottenhamel, Wirt des Paulaner am Nockherberg sowie Kreisvorsitzender München und Bezirksvorsitzender Oberbayern beim DEHOGA Bayern e.V. beschreibt, wie die Betriebe durch die Pandemie gekommen sind und wie es weitergehen kann:
"Die Reservierungen werden stetig mehr"
Wie geht es weiter nach der Pandemie?
Christian Schottenhamel: Wir gehen vorsichtig optimistisch in den 2. Pandemie-Sommer. Die Menschen atmen auf und kommen wieder mit viel Lust auf Zusammensein mit Familie und Freunden zu uns Gastronomen. Die Reservierungen werden stetig mehr, auch für Veranstaltungen und Feiern, natürlich alles im Rahmen der Möglichkeiten der bis Ende August geltenden 13. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung. Ab Anfang August hofften meine Kollegen und ich auf etwas mehr Lockerungen hinsichtlich einiger Stellschrauben. Das hat sich nicht bewahrheitet, da die jetzigen Bestimmungen nun bis Ende August verlängert wurden. Insbesondere den Wegfall der Maskenpflicht für Mitarbeitende und Gäste in den Außenbereichen hatten wir erwartet. Dass nun die Kollegen mit Schankwirtschaften auch wieder den Betrieb aufnehmen, begrüße ich sehr. Der größte Wunsch der Deutschen lt. Umfragen war erfreulicherweise wieder „ins Wirtshaus oder Restaurant zu gehen“.
Wir spüren dennoch etwas Zurückhaltung bei den Gästen. Dies mag an den weniger finanziellen Mitteln durch die Kurzarbeit liegen, aber eben auch an den ständigen Änderungen in den Verordnungen, die unsere Gäste verunsichern. Die Maskenpflicht schreckt ebenfalls Gäste ab, sorgt für Unverständnis, insbesondere in den Biergärten, auf Terrassen und in Schanigärten. Auch von Gästen aus anderen Bundesländern oder Ausland mit anderen Corona-Regeln gibt es Rückfragen, was in München und Bayern jetzt gilt. Leider gilt ein Flickenteppich weiterhin.
Familienfeiern werden wieder geplant und gebucht, was uns natürlich freut und ich kann Ihnen versichern, dass meine Kollegen sichere Hygiene- und Sicherheitskonzepte mit Gästeregistrierung ausgearbeitet haben, unsere Mitarbeitenden sind umfassend auch für Veranstaltungen mit mehr Gästen geschult. Wir sind in einer Pandemie-Phase, in der allen gastgewerblichen Betrieben das Grundrecht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ohne Einschränkung wieder zurückgegeben werden muss. Nur dadurch kann und wird die Akzeptanz staatlicher Maßnahmen seitens des Gastgewerbes und seiner Gäste erhalten bleiben.
Wir fordern einen langfristigen Plan und ein klares Bekenntnis zum Gastgewerbe, einem wichtigen Baustein des Tourismus in Bayern. Nun kommt es darauf an, dass weitere Maßnahmen für Lockerungen folgen, die unser Verband Anfang Juli 2021 zusammengefasst und platziert hat:
1. Konzeptöffnungen statt Lockdowns
2. Gleichstellung von Negativ-Getesteten mit Geimpften und Genesenen (3G), um Anreize für freiwillige Testungen und Impfungen zu schaffen
3. Wegfall der Maskenpflicht bei Einhaltung des Mindestabstandes von 1,5m oder der 3G-Regel
4. Öffnung von Schankwirtschaften unter den gleichen Voraussetzungen wie Speisewirtschaften
5. Öffnung der Nachtgastronomie (Clubs und Diskotheken) unter der Maßgabe der 3G
6. Wegfall der Sperrzeitregelungen, um weitere organisierte Bereiche zu schaffen
7. Permanente Überprüfung jeglicher Auflagen auf Ihre Verhältnismäßigkeit
8. Entfristung der Umsatzsteuerreduzierung auf Speisen sowie Einbezug der Getränke
9. Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes (Wochenarbeitszeit)
10. Konsequente Entbürokratisierung.
"Eine Pleitewelle ist für mich derzeit nicht erkennbar"
Kommt ein Aufschwung oder eine Pleitewelle?
Christian Schottenhamel: Die Pandemie hat gezeigt, dass viele Kollegen die Zeit zum Refresh des Betriebs, Nachdenken und für kreative Ideen genutzt haben. Not macht bekanntlich erfinderisch. Dadurch sind neue Gastronomiekonzepte wie z. B. Wohnwagendinner, Cocktail togo entstanden, die man nun bei Gästen aktiv bewerben und Neues ausprobieren kann. Ich plädiere daher für Aufschwung und Optimismus, wenn die o. g. Lockerungsmaßnahmen folgen.
Die Kulturbühnen, „Sommer in der Stadt“ mit zusätzlichen Projekten wie „Tapetenwechsel“ und #münchenistwiederda für die Münchner Bürger werden auch Lebensfreude bringen und die Menschen werden auch die Hotels und Gastronomie wieder frequentieren. Wir haben mit dem Wirtschaftsreferat und anderen Münchner Verbänden eine Radio-Kampagne gestartet, die den Menschen wieder Lust auf die Stadt macht.
Ich denke, es wird einen kleinen Aufschwung geben. Eine Pleitewelle ist für mich derzeit nicht erkennbar. Promi-Köche sind für mich nicht der reale Maßstab. Es haben sicherlich einige Kollegen aufgegeben, was mir natürlich sehr leid tut, aber auch andere Gründe haben kann …
"Ohne diese Gelder hätten wir alle es nicht geschafft"
Wie ist die Gastronomie durch die Krise gekommen?
Christian Schottenhamel: Die Gastronomie und Hotellerie konnten nur durch die außerordentlichen Wirtschaftshilfen und das Kurzarbeitergeld überleben. Dafür sind wir der Bundesregierung und der Bayerischen Staatsregierung sehr dankbar. Ohne diese Gelder hätten wir alle es nicht geschafft. Die IHK für München und Oberbayern hat hier zusammen mit dem Wirtschaftsreferat eine enorme Arbeit übernommen und dies gilt es anzuerkennen.
Dass wir Gastronomen unseren Betrieb mit dem „Werkzeug“ einer Infektionsschutzmaßnahmenverordnung seit gut 1,5 Jahren leiten sollen, mussten wir lernen. Die langen Schließungszeiten, dann weniger Plätze, Ausarbeiten von Hygienekonzepten, Investitionen für Schutzmaßnahmen usw. haben unsere Mitarbeiter und uns Verantwortliche gefordert. Dass wir teilweise von Woche zu Woche planen mussten, hat sehr an unseren Nerven gezehrt. Das Gastgewerbe braucht Planungszeit und die Lieferanten und Mitarbeiter auch.
Der jetzige Fachkräftemangel macht uns zusätzlich zu schaffen. Viele Kollegen im Umland haben eine gute Auslastung in den Hotels und Gaststätten, aber nicht mehr den vollen Personalbestand. Ich kann es keinem Mitarbeitenden verübeln, dass man sich nach vielen Monaten Schließungszeit eine Alternative sucht. Dauerhaft ist das weder finanziell mit weniger Lohn noch mental ohne Arbeit auszuhalten. Wir haben eine sehr gute Kooperation mit der Agentur für Arbeit München, die unsere Betriebe berät und Hilfestellungen anbietet.
Meine Sorge gilt auch den Kollegen mit Clubs und Diskotheken. Diese haben seit März 2020 geschlossen, ein unglaublicher Zeitraum! Um den jungen Menschen auch wieder Freiraum zum Tanzen und Ausgehen zu geben, müssen wir diese Öffnungen vorantreiben, auch um mögliche Eskalationen wie z.B. in der Türkenstraße zu vermeiden.
"Wir bauen auch auf die Vernunft und das Verständnis unserer Gäste"
Wie können wir für eine Belebung sorgen?
Christian Schottenhamel: Am wichtigsten ist aus meiner Sicht, dass die Gäste wieder Lust haben auf die bayerische Wirtshauskultur und auch etwas Verständnis mitbringen. Nach wie vor müssen wir die Plätze reduzieren, haben dadurch weniger Kapazitäten. Wir bauen auch auf die Vernunft und das Verständnis unserer Gäste. Die Gästeregistrierung, Reservierung und Maskenpflicht werden uns sicherlich noch eine Zeit lang begleiten.
Die o. g. Aktionen in der LH München sind gute Gelegenheiten, wieder auszugehen und die gastronomischen Angebote zu nutzen. Wir haben uns beim Runden Tisch „Innenstadt“ mit den zuständigen Referaten und Stadträten beraten. Nur mit dem Delta Kultur, Einzelhandel, Gastronomie und guter Verkehrsanbindung werden die Menschen wieder gern in die LH München kommen. Fehlt ein Baustein, wird die Motivation reduziert. Demzufolge kann eine Belebung nur gelingen, wenn alle Angebote gegeben sind.
"Einen weiteren Lockdown halten Hotellerie und Gastronomie nicht durch"
Was wünschen sich Ihre Unternehmen vom Bund und den Kommunen – und von den Bürgern, ihren Kunden?
Christian Schottenhamel: Wir wünschen uns eine langfristige, vorausschauende Perspektive, denn unsere Branche braucht Planung. Wir koordinieren Veranstaltungen und Feiern mit Gästen, Dienstpläne mit Mitarbeitern und den Einkauf mit unseren Lieferanten. Ohne Planungssicherheit kann ich diese drei Aspekte nicht sicherstellen. Unsere Betriebe waren im letzten Lockdown sieben Monate geschlossen, nur ein bissl Take-away-Geschäft konnte von einigen Kollegen betrieben werden.
Einen weiteren Lockdown halten Hotellerie und Gastronomie, trotz Wirtschaftshilfen, nicht durch. Dies wurde auch von unserer DEHOGA Bayern Präsidentin Angela Inselkammer am 26.07. beim 5. Gastgebertag in Bamberg klar formuliert, dass keinesfalls wieder Gastronomie und Hotellerie geschlossen werden dürfen, falls die Inzidenzzahlen wieder steigen. Dann müssten auch Schließungen im Einzelhandel und ÖPNV erfolgen sowie die Bänder bei den Autobauern angehalten werden.
Wir benötigen mittelfristige Hilfsprogramme, insbesondere die Stadthotellerie. Solange Großveranstaltungen und Messen in den Städten ausbleiben, sind wir von dem Niveau der Jahre 2018- 2019 weit entfernt. Die Menschen buchen derzeit fast nur Feriendestinationen, meiden die Städte, dies zeigen aktuelle Marktanalysen. Die Messestädte haben massive Einbrüche an Gästezahlen. Hier müssen Lösungen zeitnah gefunden werden.
Diese Programme sollten finanzielle, ideelle und langfristige Aspekte beinhalten. Hier könnte bspw. Erleichterung für Unternehmen erfolgen, indem Genehmigungen für öffentliche Plätze (Freischankflächen, Aktionen für Kultur und Gastronomie usw.) unbürokratischer gehandhabt werden. Ebenso könnten die Gebühren für die Nutzung des öffentlichen Raumes reduziert oder sogar erlassen werden nach zwei Pandemie-Jahren. Das Zusammenwirken der jeweils zuständigen Referate / Behörden sollte unkonventioneller erfolgen und zur Entbürokratisierung beitragen. Aktionen wie „Sommer in der Stadt“ sollten auch weiterhin bestehen, um Menschen in die Stadt zu bringen und den Kulturschaffenden Raum für Kunst zu geben. Das könnte man mit Gemeinschaftskonzepten gut in den Landkreis München ausweiten. Wir würden uns sehr freuen, wenn die Bürger diese Aktionen freudig aufnehmen und die Angebote ausgiebig nutzen.
Kurzfristig muss nun die Gleichstellung von 3G-Gästen (negativ getestet, vollständig geimpft, genesen) erfolgen, damit die Gäste ohne Hürden die Angebote nutzen können. Wir machen uns stark, dass weiterhin ausreichend genügend Testkapazitäten in der LH München zur Verfügung stehen. Um Volksfeste wieder realistisch umzusetzen, müssen Abstandsregel von 1,5m und Maskenpflicht fallen. Alles andere wäre weder für die Gäste noch Gastgeber akzeptabel.
Auch das Thema Hintergrundmusik sollte zügig überdacht und geändert werden. Denn nur mit Hintergrundmusik können Orchester und Wirtshausmusiker nicht überleben. Wir planen derzeit die „Wirtshaus Wiesn 2021“ mit den Kollegen. Dies wird nur funktionieren, wenn auch musiziert werden kann.
Mein Fazit ist, dass wir mit dem Coronavirus langfristig leben müssen, ohne die Wirtschaft und unsere Branche wieder zu schließen. Einige Sicherheitsmaßnahmen werden uns erhalten bleiben. Hoffnung gibt mir die Impfkampagne in Bayern und die sollte konsequent weiterhin erfolgen, bis Herdenimmunität erreicht ist. Auch meine Mitarbeiter haben entsprechende, freiwillige Angebote hierfür bekommen, die gut angenommen werden.
Ein positiver Aspekt der Pandemie: Die Zusammenarbeit der Kollegen, mit den Referaten und anderen Verbänden ist enger, vertrauensvoller geworden. Wir haben gemeinsam einige Aktionen für Münchner und Touristen gestartet, die keiner allein hätte stemmen können. Es haben städtische Referate und wir in den Verbänden gut Hand in Hand gearbeitet.
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