"Manche Fehler muss man selber machen"
Welchen Wert hat Lebenserfahrung? Was lernen Jung und Alt voneinander?
Es war einmal ...
Vier alte Tiere haben ausgedient und werden vom Hof gejagt. Aber sie halten zusammen und schaffen, was ihnen keiner zugetraut hätte: Sie besiegen mit ihrer Lebenserfahrung die Räuber und leben fortan glücklich in deren Räuberhütte.
Die Bremer Stadtmusikanten erzählen vom Verhältnis der Generationen zueinander.
Zählt Lebenserfahrung?
Smartphone, Tablet und Co – kommen da die Alten überhaupt noch mit? Können und dürfen sie noch mitreden, geschweige denn, dass sie noch als Vorbild gefragt sind oder ihre Lebenserfahrung für die Jungen zählt? Im Volksmärchen von den Bremer Stadtmusikanten werden die alten Tiere ausgemustert, weil sie nicht mehr leistungsfähig sind. Hahn, Katze, Esel und Hund müssen fortlaufen, weil sie am Hof nur noch lästig fallen. Gehen wir so auch mit unseren Alten um?
Seniorenbeiratsvorsitzende Ingeborg Staudenmeyer meint, dass sich das Bild aus dem Märchen sehr gut auf unsere Gesellschaft übertragen lasse. Alte würden kaum geschätzt, was durch Altersarmut und Vereinsamung bestätigt werde. Aber es gibt auch Gegenbeispiele. Unsere Gäste berichten von verschiedenen Projekten, bei denen die Lebenserfahrung der Alten für sehr wertvoll gehalten wird. Auch ihre Geschichten würden gehört und respektiert. Die Jungen aber müssten auch ihre eigenen Erfahrungen machen und eigene Lebensentwürfe finden, ohne dabei von den Alten und ihren Vorstellungen überfrachtet zu werden.
„Alte sind wertvoll“
„Wie kann man Zukunft gestalten, wenn man nicht aus der Vergangenheit lernt?“, fragt Stephan Pilsinger. Durch seinen Beruf als Arzt habe er viel Kontakt zu Alten und von ihnen auf menschlicher Ebene viel gelernt: „Zum Beispiel, dass man sich selbst nicht so wichtig nehmen muss, das habe ich von der älteren Generation gelernt.“ Alte sind in vielen Bereichen eine wertvolle Stütze und wichtige Kraft. Im Familienzentrum Laim etwa bringen sich Großeltern ehrenamtlich ein. „Das ist sehr wertvoll“, erklärt Christiane Rolny. „Die Großeltern bringen Zeit mit, die ja den jungen Eltern meist fehlt. Die Kinder genießen das, dass jemand für sie da ist, sich an ihnen freut. Und die Großeltern bringen ihre unterschiedlichen Hintergründe mit. Das ist auch schön und macht das Leben bunt und bereichert sehr.“
Beide Seiten profitieren
Im kulturellen Bereich ist die Tatkraft der Alten ebenfalls gefragt, bestätigt Frank Przybilla. Über 20 Seniorinnen engagieren sich ehrenamtlich in der Pasinger Fabrik und stellen sogar eigene Projekte auf die Beine. Die „Kulturschwestern“, wie sich die Damen nennen, seien „die besten Kräfte“, da sie unbezahlbare Erfahrung mitbrächten. „Die machen den Job einfach mit Freude und Leidenschaft. Kürzlich waren die Damen an der Akademie der Bildenden Künste und haben dort zusammen mit Studenten eine Ausstellung konzipiert. Da haben beide Seiten voneinander profitiert, weil die jungen Künstler auch mal eine neue Sichtweise bekommen haben und genauso waren die Kulturschwestern inspiriert von der Geschichte“, so Frank Przybilla. „Ich finde es einfach gesund, dass es sich verzahnt, Jung und Alt.“ Er selbst kenne es auch gar nicht anders. Gemeinsam mit den Großeltern und Eltern sei er in einem Haus aufgewachsen.
„Jugendliche hören zu“
Dass aber mehrere Generationen unter einem Dach leben, gehört heute eher der Seltenheit an. Die Lebensumstände und Wohnverhältnisse in der Großstadt sowie die Jobs, die viele Junge zum Wegzug drängen, haben das Modell vom generationenübergreifenden Zusammenwohnen verdrängt. Der Zusammenhalt zwischen den Generationen scheint dadurch rückläufig. Dass aber die Jungen kein Interesse am Leben und den Geschichten der Alten hätten, sei ein Vorurteil, dem die Zehntklässlerin Franziska Hafner klar widerspricht: „Ich denke, dass es generell wichtig ist, jedem Menschen zuzuhören und ihn wahrzunehmen.“ Alte Menschen brächten vor allem wertvolle geschichtliche Erinnerungen mit. Bei Schülerprojekten, wie etwa dem „Zeitzeugengespräch“, seien diese gefragt. In Schulklassen erzählen Senioren von früher und geben ihre Lebenserfahrung weiter. „Jugendliche hören sehr wohl sehr gerne zu“, betont Franziska Hafner.
„Alte können Vorbilder sein“
„Ich persönlich habe fast nur von älteren Vorbildern gelernt“, erklärt Professor Wolfgang Heckl. „Wenn sich zwischen Alt und Jung ein Gespräch entspinnt, dann wird’s spannend.“ Das Deutsche Museum fördere die Begegnung von Alt und Jung, veranstalte unter anderem Repair Cafés, um generationenübergreifende Begegnungen zu ermöglichen: „Die Alten wissen noch, dass es sich lohnt, Dinge zu reparieren statt wegzuwerfen. Anders als die Jungen“, meint Wolfgang Heckl. „Die Alten müssen den Jungen nicht `virtual reality´ beibringen, aber sie können beibringen, wie man Technik sinnvoll einsetzt. Sie sind keine digitalen Spezialisten, aber sie können Vorbilder sein beim Thema Technik in der Gesellschaft.“
„Kaum Berührungspunkte“
Dass Alte so geschätzt und immer noch gefragt sind, mag Ingeborg Staudenmeyer, Vorsitzende des Seniorenbeirats, kaum glauben. Viele Senioren kenne sie, die zu wenig Geld hätten und denen kaum Verständnis, politisch wie gesellschaftlich, entgegengebracht werde: „Ich kenne eine 80-Jährige, die putzen geht, damit sie sich eine Hose kaufen kann. Ist das richtig?“, empört sich Staudenmeyer. Für viele Alte werde kaum etwas getan. Zum Beispiel in Sachen Wohnungstausch müsse sich etwas ändern: Damit Alte in ihrem Umfeld wohnen bleiben könnten, müssten sie mit Jungen, die etwa im Erdgeschoss wohnen, die Wohnung tauschen. Auch in punkto Altersarmut brauche es politisches Umdenken und Handeln. „Alt und Jung zusammen, das gibt es in der Stadt doch fast gar nicht. Es gibt doch kaum noch Berührungspunkte.“ Zuspruch kommt da vom Stephan Pilsinger: „Ich habe festgestellt, dass vor allem Frauen im Alter unverschuldet ein Finanzproblem haben. Gerade für sie, die meist viel geleistet haben, muss man mehr tun.“
„Die Jungen auch mal machen lassen“
„Für die Gesellschaft sind Alte aber sehr relevant. Sie können vermitteln, was wichtig ist und was nicht im Leben“, findet Wolfgang Heckl. „Man darf sich nicht zurückziehen. Wir Jungen haben auch die Aufgabe, die alten Menschen zu animieren, ihre Rechte einzufordern.“ Doch nicht nur die Alten müssen auf ihrem Recht bestehen, auch die Jungen müssen sich immer wieder freimachen, um voranzugehen. Franziska Hafner sagt, man müsse die Jungen auch mal machen lassen: „Ich finde das schwierig, wenn den jungen Leuten die Lebenserfahrung abgesprochen wird.“ Ein Bereich, in dem die Jugend auf jeden Fall ihre eigenen Erfahrungen machen sollte, sei die Welt der digitalen Medien, erklärt Franziska Hafner. „Klar können Menschen, die damit nicht aufgewachsen sind, ihre Bedenken äußern und sagen, dass vielleicht bestimmte Aspekte des Lebens verloren gehen. Aber vieles aus der digitalen Welt birgt viele Chancen.“
Eigene Erfahrungen machen
Mitreden? Ja, das dürfen die Alten gerne! Jedoch Ratschläge von außen geben oder sich einmischen in Themen, die sie selbst gar nicht kennen, dass verbittet sich die Jugend. Und das schon seit Menschengedenken. Zu jeder Zeit und in jeder Generation mussten die Jungen eigene Erfahrungen machen und konnten oder wollten sich bestimmte Wege nicht von den Alten abschauen. „Manche Sachen und auch manche Fehler muss man selber machen“, sagt Stephan Pilsinger dazu. „So ist es! Und manchmal tut ein Fehler mehr weh und manchmal weniger und mancher ist überflüssig“, pflichtet Ingeborg Staudenmeyer bei. Den Satz ´Ich hab's ja gleich gesagt` höre keiner gern. Dankbar sei man da als junger Mensch, wenn die Eltern einem Fehler nicht nachtragen, ergänzt Stephan Pilsinger.
„Probier' es einfach aus“
„Meine Eltern haben mich laufen lassen und das rechne ich ihnen immer noch hoch an“, sagt Frank Przybilla. „Probier' es einfach aus, wir quatschen dir nicht rein, das war in meinem Leben total prägend.“ Nicht von oben herab, aber immer unterstützend seien die Eltern gewesen – eine Lebenserfahrung, die er zu schätzen wisse. Beistand zu bekommen, wenn man eigene Erfahrungen macht, ist auch für Stephan Pilsinger entscheidend: „Ich bin meinen Eltern sehr dankbar dafür, dass ich immer wusste, wenn ich einen Fehler mache, dann stehen sie trotzdem immer hinter mir“, fügt er hinzu. „Wenn man das vermittelt bekommt, ist das eine große Stärkung.“
„Die eigenen Lebensentwürfe finden“
Alte können Jungen Ratschläge geben; das eigene Leben lebt aber letztendlich jeder ganz individuell. „Was jeder einzelne Mensch finden muss, das ist die Antwort auf die Frage `Was ist mir wichtig im Leben´ und das kann total unterschiedlich sein“, glaubt Christiane Rolny. Wenn auch junge Eltern heute manches von den eigenen Großeltern übernähmen (also eine Generation überspringen), so bleibe manches auch ganz verschieden zu den Generationen zuvor. Man dürfe nicht außer Acht lassen, dass sich die Lebensumstände verändert haben, meint sie: „Die Eltern von heute müssen noch einmal ganz eigene Werte und auch ganz eigene Lösungen finden. Die eigenen Lebensentwürfe zu finden, kann man niemandem abnehmen.“
„Toleranz füreinander“
„Wichtig wäre, dass wir Toleranz füreinander finden, auch dafür, was der andere anders macht“, erklärt Christiane Rolny. „Das was wir tun können, ist etwas vorzuleben.“ Weder die Alten noch die Jungen wollen bevormundet werden. Voneinander zu lernen, vor allem aber Verständnis füreinander aufzubringen, das könnte Alt und Jung zusammenhalten. Miteinander statt gegeneinander – so kommen Alt und Jung gemeinsam weiter und keiner muss aus dem Raster fallen. Die Lebenserfahrungen mögen verschieden sein, der Wunsch nach einem sinnvollen Leben aber ist vermutlich über die Generationen hinweg bei allen Menschen da: „Was erfüllt unser Leben, was macht uns Spaß? Freundschaften pflegen, sich auf das Wesentliche im Leben zu besinnen, ein gutes Leben leben, das sind doch die wichtigen Lebenserfahrungen“, meint Frank Przybilla.
Eine märchenhafte Frage
Welches ist Ihr Lieblingsmärchen? Unsere Gäste antworteten:
Franziska Hafner: "Die Schöne und das Biest. Im Grunde geht es da um zwei Gegensätze, die sich am Schluss verstehen und das kann man auch auf die Situation mit den Generationen übertragen."
Prof. Wolfgang Heckl: "Das 'Märchen' von Gene Roddenberry: Star Trek. Das ist ein modernes Märchen darüber, wie Visionen Wirklichkeit werden können."
Stephan Pilsinger: "Zu den Märchen der Brüder Grimm habe ich eine besondere Nähe. Die wurden mir von meiner Großmutter viel vorgelesen. Schön ist auch „Ein Wirtshaus im Spessart“ (Wilhelm Hauff), da hatte ich ein Hörspiel davon."
Frank Przybilla: "Die Sage von Rübezahl ist das erste Märchen, das ich selber gelesen habe. Da geht es darum, dass die Fleißigen, die Ehrlichen belohnt und die Gierigen und Bösen bestraft werden, was im wirklichen Leben ja leider nicht immer so ist."
Christiane Rolny: "Ich habe „Der süße Brei“ ausgesucht. Heute gibt es wie in dem Märchen auch viel Neues, neue Zauberdinge und Technik – und es ist wichtig, dass die junge Generation damit gut umgehen kann."
Ingeborg Staudenmeyer: "Mein Sohn hat den Struwwelpeter (Heinrich Hoffmann) gern gehabt. Und „Aschenputtel“ (Brüder Grimm) hab ich auch ganz gern gemocht."
Unsere Gäste
Bei unserem Sommergespräch diskutierten: Franziska Hafner (StadtSchülerInnenVertretung München) Prof. Wolfgang Heckl (Generaldirektor des Deutschen Museums) Stephan Pilsinger (Bundestagskandidat der CSU) Frank Przybilla (Geschäftsführer Pasinger Fabrik) Christiane Rolny (Leiterin des Familienzentrums Laim) Ingeborg Staudenmeyer (Vorsitzende des Seniorenbeirats der LHM)
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