"Man sieht, wie Kinder sich in die Figuren hineinversetzen"
Für Staatssekretär Georg Eisenreich spielen Eltern eine wichtige Rolle
Georg Eisenreich ist Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Bildung und Kultus. Das ist u.a. für die Schulen zuständig. Der "Mann aus dem Ministerium" weiß, wie grundlegend Lesen ist - und greift regelmäßig selbst zum Buch, um Schülern in ihren Klassen vorzulesen. Er sprach mit Johannes Beetz über die Lust an Geschichten, die Rolle der Eltern und die Veränderungen in der Schule.
"Kinder hören immer neugierig und begeistert zu"
Sie beteiligen sich jedes Jahr an Vorleseaktionen in Schulen. Wie erleben Sie die Reaktionen der Kinder?
Georg Eisenreich: Lesen ist eine Grundvoraussetzung dafür, um in Schule und Beruf erfolgreich zu sein. Ich mache deswegen gerne bei Aktionen zur Leseförderung mit. Am bundesweiten Vorlesetag besuche ich immer eine bayerische Schule, um den Schülerinnen und Schülern vorzulesen. Die Kinder hören immer neugierig und begeistert zu. Man sieht, wie sie sich auf die Geschichte einlassen, sich in die Figuren hineinversetzen und ein spannendes Abenteuer erleben. Das aktive Zuhören regt ihre Phantasie und Kreativität an. Natürlich wollen die Kinder auch wissen, wie die Geschichte weitergeht. Durch das Vorlesen bekommen die Schüler Lust, auch selbst zu lesen.
"Eltern haben eine sehr wichtige Rolle"
Lesen ist eine Schlüsselqualifikation. Wie können Eltern und Lehrer Kindern unter die Arme greifen, die sich hier schwer tun?
Georg Eisenreich: Eltern können die Freude ihrer Kinder am Lesen fördern, wenn sie zu Hause häufig vorlesen, sie ihnen gute Bücher anbieten oder zum Beispiel auch gemeinsam in eine Bücherei gehen. Die Eltern haben eine sehr wichtige Rolle. In der Schule haben die Lehrkräfte viele Möglichkeiten, um Leseinteresse zu wecken und Lesekompetenz zu fördern. Zum Neben der Förderung im Unterricht gibt es besondere Projekte wie Lesenächte, Buchausstellungen oder die Gestaltung der Schulbibliothek.
Digitalisierung verändert die Welt
Sie setzen in bayerischen Schulen auf digitales Lehren und Lernen. Verliert die jüngste Generation in einer mehr und mehr digitalen bzw. virtuellen Lebenswelt nicht auch Sinn und Zeit für das Lesen? Gehen das Erfassen von Dingen und die fürs Lernen hilfreiche "sinnliche Erfahrung" von Tafel, Buch und Vokabelheft im Schatten von Whiteboard, Beamer und Internet-Lernplattformen verloren?
Georg Eisenreich: Unsere Schulen müssen auf eine Welt vorbereiten, die sich durch die Digitalisierung gerade grundlegend verändert. Die Schülerinnen und Schüler müssen daher lesen lernen und zugleich mit den Möglichkeiten der digitalen Welt souverän und verantwortungsvoll umgehen. Sie brauchen Kompetenzen, mit denen sie Informationen und Innovationen kritisch hinterfragen, bewerten und sinnvoll einsetzen können. Der kompetente Umgang mit digitalen Technologien ist heute eine vierte Kulturtechnik neben Lesen, Schreiben und Rechnen. Unsere Schülerinnen und Schüler werden sich auch weiterhin mit Büchern, Zeitschriften, Zeitungen usw. beschäftigen. Der Unterricht wird darüber hinaus verstärkt digitale Medien einbeziehen und deren Vorteile nutzen.
"Wissen, dass sie nicht allein sind!"
An die 7,5 Millionen Deutsche gelten als funktionale Analphabeten. Welche Möglichkeiten sehen Sie, das Tabu der Lese- und Rechtschreibschwäche von Erwachsenen aufzubrechen?
Georg Eisenreich: Man muss mit dem Thema Analphabetismus offensiv und gleichzeitig sensibel umgehen. Funktionaler Analphabetismus hat viele, zum Teil zusammenhängende Ursachen. Die Betroffenen sollten sich dieser Ursachen bewusst werden und wissen, dass sie mit diesem Problem nicht allein sind. Dann fällt es ihnen leichter, Unterstützung zu suchen. Es gibt für sie gute niederschwellige Förderangebote.
"Ich lese ich gern aus 'Das kleine Gespenst' vor"
Welches Buch haben Sie als Kind gern gelesen?
Georg Eisenreich: Als Kind war ich begeistert von Erich Kästners "Emil und die Detektive", auch "Michel aus Lönneberga" von Astrid Lindgren fand ich toll. Wenn ich heute Grundschulen besuche, lese ich zum Beispiel gern aus "Das kleine Gespenst" von Otfried Preußler vor – nach ihm wurde ja vor kurzem das Gymnasium in Pullach benannt. Diese "Klassiker" kommen auch heute bei den Schülerinnen und Schülern gut an. Natürlich gibt es auch viele aktuelle Titel, die Grundschulkinder gerne lesen, etwa die Bücher von Kirsten Boie wie "Der Kleine Ritter Trenk" oder das sehr spannende "Skogland".
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