"Ich bin ein bisschen glücklicher"
Karl-Otto Saur ist Trauerredner auf Münchner Friedhöfen
Rund die Hälfte der Bestattungen in München findet ohne Pfarrer statt. An seine Stelle treten manchmal Verwandte oder Freunde des Verstorbenen, oder die Familie engagiert einen Trauerredner. Seit eineinhalb Jahren hält Karl-Otto Saur Grabreden, etwa 70 sind inzwischen zusammengekommen. Im ausführlichen Gespräch mit den Hinterbliebenen ergründet er die Einzigartigkeit des verstorbenen Menschen, sucht nach dem Persönlichen, der stimmigen Geschichte für die Rede. Einfühlsam und respektvoll geht er damit um, doch "es gab noch kein Trauergespräch, bei dem nicht auch gelacht wurde", erzählt Saur.
Er hilft dabei, den Abschied etwas leichter zu machen. Er spricht mit Witwen, die eine offensichtlich sehr glückliche Ehe hatten, aber auch mit Söhnen, die ihre Mutter gehasst haben oder mit Hinterbliebenen eines Menschen, über den es offenbar überhaupt nichts zu sagen gibt. Was schreibt Saur in solch einem Fall in seine Rede? "Ich bemühe mich, nicht wirklich zu lügen", sagt er. Er weicht auf Zeitgeschichtliches aus, packt die Wahrheit in positive und versöhnliche Worte. "Der Verstorbene soll immer als jemand dastehen, der bewusst dieses Leben gewählt hat."
Gedankenloser Abschied
Die richtigen Formulierungen zu finden, das war jahrzehntelang sein Beruf: Karl-Otto Saur wurde an der Deutschen Journalistenschule in München ausgebildet, war 17 Jahre lang leitender Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung, danach Ressortleiter beim "Spiegel" in Hamburg, bevor er sich mit einem Medienbüro in Ebenhausen bei München selbständig gemacht hat. Mit 68 Jahren hat er diese Tätigkeit beendet. Nächsten März wird er 70, und Trauerreden halten will er so lange es geht. Wie er dazu kam, beschreibt er auf seiner Internetseite so: "1991 kam mir zum ersten Mal der Gedanke, mich als Trauerredner zu engagieren. Ein Freund aus den USA rief mich an und bat mich, seine geschiedene Frau zu besuchen, die hier lebte und deren Mutter gerade gestorben war. Bei der Beerdigung war neben der Tochter, der Enkeltochter und mir nur noch eine Nachbarin da - und ein Trauerredner. Der hatte - wie üblich - die Tote nicht persönlich gekannt. Er schien aber auch keinerlei Interesse an diesem Menschen zu haben. Ich hatte das Gefühl, dass kein Mensch es verdient hat, so gedankenlos verabschiedet zu werden." Schon bei der Beerdigung seines eigenen Vaters 1966 stimmte kein einziger Satz des pensionierten Pfarrers, der die Zeremonie nur unter der Bedingung abhielt, dass die Mutter wieder in die Kirche eintrete.
Gebete, wenn gewünscht
Gerade die Sache mit dem Glauben kann heikel sein. Eine Witwe, die sehr fromm war, wurde von ihrem verstorbenen Mann mit der Tatsache überrascht, dass dieser schon vor 20 Jahren ohne ihr Wissen am städtischen Bestattungsamt alles für seine eigene Beisetzung geregelt hatte. Und verfügt hat, dass er keinen Pfarrer am Grab wünsche. Diese Witwe bat Saur, doch zumindest ein "Vater unser" zu beten. Solche Wünsche erfüllt Saur gerne. Einen Segen sprechen durfte er natürlich nicht. Aber er hat eine Fürbitte aus dem Internet herausgesucht, die ein bisschen danach klingt. Die hat er dann auch bei einer anderen Beerdigung verwendet, bei der die Verstorbene nur deshalb aus der Kirche ausgetreten war, weil sie sich die Kirchensteuer beim besten Willen nicht leisten konnte.
Saur berät auch bei der Auswahl der Musik. Von Klassikern wie "I did it my way" rät er eher ab, außer im Fall eines Trambahnfahrers, der 40 Jahre lang mit viel Geduld und unfallfrei seine Straßenbahn durch München gesteuert hatte - "da hat es einfach gepasst."
Das Leben als Geräusch
Die Münchner Friedhöfe mag Saur alle gerne, am liebsten die alten mit den hohen, Schatten spendenden Bäumen. "Wenn man am Waldfriedhof ein Grab am Rand hat, hört man den Verkehr der Fürstenrieder Straße oder der Autobahn - und trotzdem ist es still. Das Grab ist eine Ruhestätte, aber das Leben ist als Geräusch trotzdem da. Das hat geradezu Symbolkraft."
"Nachdenklicher und dankbarer"
"Ich habe noch nie so viel gelernt über ganz andere Lebenswelten wie in diesen eineinhalb Jahren", resümiert Saur. "Es macht einen nachdenklicher und dankbarer für das eigene Leben. Banal gesagt: Ich bin ein bisschen glücklicher." Er beschäftige sich durchaus mehr mit dem eigenen Tod. "Alle wissen, dass am Ende der Tod kommt, aber vorher verdrängt man's." Nur nicht bei ihm zuhause: "Wir sind eine Familie, die darüber redet und sich darüber lustig machen kann, mit einem Schuss Ironie und einem Schuss Zuneigung."
Seine Tochter wohnt mit ihrem Mann und den zwei gerade erwachsen gewordenen Kindern im selben Haus wie die Eltern. "Meine Tochter sagt: Jetzt sind unsere Kinder aus dem Haus, jetzt wollen wir erst mal fünf bis sieben Jahre leben können, dann sind wir bereit, euch zu pflegen." Die beiden Söhne leben in den USA. Saurs Frau ist Sozialpädagogin und gibt ihre Berufstätigkeit erst mit 70 Jahren Anfang nächsten Jahres auf. "Als ich Journalist wurde, fand meine Frau den Berufsstand immer überbewertet und untermenschlich. Sie hielt nicht viel von dem, was ich machte. Seit ich Trauerreden schreibe, ist sie zum ersten Mal der Meinung, dass ich etwas ganz gut mache. Ich gebe ihr jede Rede zum Lesen." Wer schreibt eigentlich dereinst die Trauerrede für seine Beerdigung? "Ich habe mir schon überlegt, ob ich sie aufnehme", antwortet Saur mit einem selbstironischen Schmunzeln.
Weitere Informationen über Karl-Otto Saur stehen auf seiner Internetseite http://trauer.kultur-kontor-saur.de
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