Es war einmal ...
Unsere märchenhafte Reise durch die Gegenwart beginnt
Vier alte Tiere haben ausgedient und werden vom Hof gejagt. Aber sie halten zusammen und schaffen, was ihnen keiner zugetraut hätte: Sie besiegen mit ihrer Lebenserfahrung die Räuber und leben fortan glücklich in der Räuberhütte. Die Bremer Stadtmusikanten erzählen vom Verhältnis der Generationen zueinander. (Foto: colourbox.com)
Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald. Auch unsere Welt fühlt sich nicht selten wie ein tiefer, dunkler Wald an, komplex und unübersichtlich. Orientierungslos stolpern wir voran – in welche Richtung eigentlich?
Das „Internet der Dinge“, der demographische Wandel, Altersamut, „soziale“ Medien, Fachkräftemangel, Digitalisierung, befristete Jobs, Wohnungsnot – ständig prasseln neue Herausforderungen auf uns ein.
Wir versuchen daher, alle Eventualitäten zu kontrollieren und zu erfassen, zu messen und zu regeln. Aber das gelingt nur bedingt: Die EU-Richtlinie zur Sicherheit von Spielzeugen ist 137.000 Zeichen lang – ein tiefer, dunkler Wörterwald. Sogar noch etwas länger ist der im Münchner Stadtrat letzte Woche behandelte Antrag, den Großmarkt in Sendling neu zu bauen. Nur einen Bruchteil solcher Textfluten benötigen die Zehn Gebote: Mit gerade einmal 1.800 Zeichen regeln sie die Grundsätze menschlichen Zusammenlebens seit 3.000 Jahren einigermaßen zufriedenstellend.
Schuld und Schätze
Was uns zusammenhält, bedarf keiner ausgeklügelten Paragraphen, sondern guten Willens und gesunden Menschenverstandes, den die Alten durch Lebenserfahrung und Gelassenheit und die Jungen durch Neugier und Unvoreingenommenheit ergänzen.
Etwa 100 Milliarden Menschen haben bislang auf diesem Planet ihr Leben gelebt, seit unsere Art existiert. Jeder Weg wurde also schon beschritten, jede Hoffnung schon einmal gehegt, jeder Schmerz erlitten, jedes Glück erlebt, jede Geschichte schon erzählt. Die Herausforderungen sind für jede Generation die gleichen, auch wenn das Bühnenbild ihres Lebens wechselt. Längst haben die Menschen Antworten gefunden, Erfahrungen gemacht und diese weitergegeben – zum Bespiel in Märchen.
Märchen erzählen von unseren Ängsten, von unseren Träumen, unserem Glück und unserer Schuld. Sie begleiten uns an die Weggabelungen, an denen wir immer wieder stehen. Sie zeigen uns unsere dunklen Seiten (in jedem von uns stecken Rotkäppchen - und Wolf) und unsere Möglichkeiten, echte Schätze zu heben. Wenn Alte Märchen erzählen, erklären sie Jungen die Welt, in die sie hinausgehen werden.
Märchen geben Anregungen zu vielen Dinge – selbst zu Fragen, die den Gebrüdern Grimm nicht unter den Nägeln brannten: Geschlechtergerechtigkeit, Life-Work-Balance, Sicherheit im Internet und Zukunft des europäischen Projekts. All das lässt sich mit Märchen erzählen.
Wenig genügt
Um die Richtung zu finden und nicht in die Irre zu gehen, genügt manchmal schon das bisschen Mißtrauen des siebten Geißleins, das den Wolf eben nicht mit einem freudigen „Friss mich“ in sein Privatleben eindringen ließ. Oder das Wissen, das eine verlockende Apfelhälfte vergiftet sein kann, auch wenn sie aussieht wie ein Handyvertrag oder ein günstiger Kredit.
Start am Samstag
Die Münchner Wochenanzeiger greifen auch in diesem Sommer zehn wichtige Themen auf und diskutieren sie mit vielen Gästen, darunter Leser und Bürgermeister, Lehrer und Politiker, Studenten und Ehrenamtliche. Weil Märchen zeitlose Botschaften weitertragen, haben wir alle Gespräche mit bekannten Märchen verknüpft und erzählen sie im kommenden Samstagsblatt und den folgenden Ausgaben als „Sommermärchen“.
Mensch sein, heißt Antworten zu suchen – und neue Fragen. Jede Generation steht vor dieser Aufgabe.
Es war einmal? Es ist!
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