"Es ist machbar!"
Win-Win: Jobcenter will Flüchtlinge zügig in Lohn und Brot bringen
Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren, hilft allen. Sie hoffen auf Nachahmer (von links): Brigitte Meier (Sozialreferentin Stadt München), Gabriella Hauck (Arbeitgeberservice Jobcenter), Obaidah Alsaleh, Gabriele Stamnitz (Hechtl Maler), Anette Farrenkopf (Geschäftsführerin Jobcenter) und Johannes Kolb (Geschäftsführer Operativ der Agentur für Arbeit). (Foto: job)
"Es war anfangs sehr schwierig. Ich kannte niemanden und konnte kein Deutsch", erzählt Obaidah Alsaleh. Der 32-jährige Syrer kam Ende 2013 nach Deutschland. In Damaskus hatte er Agrarwissenschaft studiert, doch sein Studium wegen des Krieges abbrechen müssen. Heute arbeitet er als Lagerabeiter der Münchner Firma New Flag, wo er für die Konfektionierung großer Palettenlieferungen zuständig ist: "Ich mag keine Almosen, ich will unbedingt arbeiten", sagt er. Inzwischen ist er stellvertretender Vorarbeiter. "Langfristig möchte ich eine Ausbildung oder ein Studium im technischen Bereich machen", plant er. Momentan steht für ihn Geldverdienen im Vordergrund - Alsaleh unterstützt seine in der Heimat gebliebene Familie.
Wie bleibt Wohlstand erhalten?
Flüchtlinge wie er sind die Fachkräfte von morgen und übermorgen, die die Region München dringend sucht. Derzeit sind allein in München 1.500 Ausbildungsplätze unbesetzt. Den Betrieben geht der Nachwuchs aus. München steht vor einer zentralen Frage, bekräftigt die Geschäftsführerin des Jobcenters, Anette Farrenkopf: "Wie gewinnen wir Erwerbspotezial, um den Wohlstand zu erhalten?"
Flüchtlinge als Chance
Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, sind eine Antwort auf diese Frage. Münchens Sozialreferentin Brigitte Meier sieht darin einen Paradgimenwechsel. Es sei neu, die Flüchtlingssituation unter dem Aspekt Arbeit zu sehen.
Das Jobcenter will daher mit der Arbeitsagentur Menschen, die bei uns Schutz suchen, besser in den Arbeitsmarkt einbinden und ruft Arbeitgeber auf, geeignete Stellen zu melden. Das Jobcenter ist zuständig für Flüchtlinge, die eine Bleibeperspektive haben - also anerkannt oder geduldet sind. Diese Menschen dürfen inzwischen nach drei Monaten eine Beschäftigung bei uns aufnehmen und so selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen.
Große Herausforderungen
"Wir müssen diese Menschen in die Lage versetzen, ihren Lebensunterhalt selbständig zu verdienen und Teil der Stadtgesellschaft zu werden", sagt Brigtte Meier, "Arbeit und Bildung sind hierfür der beste Schlüssel." Allerdings stellen die unterschiedlichen Vorbildungen der Flüchtlinge eine Herausforderung dar. Bei weitem nicht alle verfügen über eine Ausbildung und viele können ihren beruflichen Werdegang und ihre Qualifikation nicht mit Zeugnissen belegen. Papiere fehlen, so Johannes Kolb (Geschäftsführer Operativ der Arbeitsagentur), die aufgrund der Situation in den Heimatländern auch nicht nachgereicht werden können.
Drei Hauptaufgaben
Drei Aufgaben müssen daher vorrangig gelöst werden, betont Anette Farrenkopf: schneller Zugang der Flüchtlinge zu Sprachkursen, zielgerichtete Qualifizieung, zügige Anerkennung von ausländischen Abschlüssen.
Beim Spracherwerb (auch Obaidah Alsaleh belegte mit Hilfe des Jobcenters einen Sprachkurs) erwartet Johannes Kolb Fortschritte: "Wir können künftig allgemein Sparchkurse fördern - auch ohne direkten Jobbezug. Das wird uns weiterhelfen!" Stimme der Bundestag der neuen Regelung zu, könne man damit schon im November loslegen und etwa 10.000 Menschen in Bayern Sprachkurse anbieten. In München setzt Brigitte Meier dabei auf eine enge Kooperation mit der Volkshochschule.
"Unser Aufgabe ist es, Menschen mit einer Bleibeperspektive gezielt und zügig auf eien Arbeitsaufnahme vorzubereiten, fasst Johannes Kolb zusammen. Auch für ihn ist es unerlässlich, die Potenziale der Füchtlinge zu nutzen, um Fachkräfte für die Region zu bekommen.
Zahlen sind ungewiss
Um wieviele Menschen es sich konkret handeln wird, können weder Jobcenter noch Stadt oder Arbeitsagentur sagen. "Wir bereiten uns darauf vor, im nächsten Jahr mehr Flüchtlinge im Jobcenter zu betreuen", erklärt Anette Farrenkopf: Werden mehr Flüchtlinge anerkannt und Verfahren abgeschlossen, wird das Jobcenter entsprechend mehr Kunden bekommen. Sie rechnet für 2016 mit "vielleicht 6.000" Menschen.
Bis Mitte Oktober diesen Jahres hat das Jobcenter 2.350 Flüchtlinge gezählt, die Grundsicherung beantragten (ein Drittel davon unter 25 Jahre alt). 1.400 von ihnen sind für einen Sprachkurs angemeldet und 400 könnten sofort arbeiten, weil sie Deutsch können und qualifiziert sind. "Für sie suche wir Stellen", so Farrenkopf, "wir suche Arbeitgeber, die ihnen eine Chance geben - mit Praktika und Ausbildungsplätzen. Wir brauchen flexible, aufgeschlossene, sozial engagierte Arbeitgeber."
"Sie sind voller Tatendrang!"
Die Flüchtlinge nehmen ihre Beschäftigung hochmotiviert auf, berichtet Farrenkopf: "Sie sind voller Tatendrang!" Das bestätigt Gabriele Stamnitz. Sie hat bei Hechtl Maler früher wie heute ein multinationales Team: "Früher waren es Griechen und Italiener", sagt sie, "heute beschäftigen wir neben Urmünchnern Türken, Afghanen und einen Tibeter. Wir wachsen zusammen." Die Kollegen nehmen Flüchtlinge mit offenen Armen auf und nehmen sie auch privat unter ihre Fittiche. "Die Flüchtlinge sind besonders motiviert", sagt Stamnitz und erinnert: "Auch wir in Deutschland haben Flucht erlebt."
Auf solche Unternehmen setzt Michael de Graat (Koordinator Arbeitgeberservice Jobcenter): "Wir versprechen uns viel von der Zusammenarbeit mit klein- und mittelständischen Betrieben. Sie können Flüchtlinge aufgrund des meist engen Zusammenhalts unter den Beschäftigten meist besonders gut integrieren."
"Wir suchen Nachahmer"
"Wir suchen Nachahmer!" sagt Anette Farrenkopf mit Blick auf das Beispiel Hechtl Maler. Sie sieht eine "Win-Win-Situation", die die Nachwuchslücke schließen helfe. In der Praxis sei "das natürlich nicht immer leicht und erfordert von beiden Seiten großes Engegament." Sie betont: "Die berufliche Integration von Flüchtlingen geht uns alle an. Sie schafft Perpsketiven, spart soziale Folgekosten. Wir sollten nicht darüber nachdenken, was nicht geht. Wir sollten die Chancen nutzen, die sich uns bieten!" Zuversichtlich zeigt sich auch Brigitte Meier. Angesichts ungewisser Flüchtlingszahlen solle man nicht gleich in die Knie gehen, sondern müsse auch mal improvisieren können: "Es ist machbar!"
Die Bemühungen für Flüchtlinge werden nicht auf Kosten der bisherigen Angebote des Jobcenetrs gehen, versichern Meier und Farrenkopf: Für Alleinerziehende, Langzeitarbeitslose und andere Kunden gebe es keine Einschränkungen. Meier. "Es muss alles funktionieren!"
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