Es geht um das richtige Maß!
Wie können Stadt und Umland ihr Wachstum bewältigen?
Es war einmal ...
Solange jedes Schweinchen für sich allein seine Hütte baut, ist es verloren, sobald der böse Wolf auftaucht. Halten aber alle drei zusammen und bereiten sich mit einem durchdachten Plan gemeinsam vor, meistern sie alle Bedrohungen und halten jedem Sturm stand.
Die drei kleinen Schweinchen erzählen, dass wir viel weiter kommen, wenn wir alle an einem Strang ziehen.
Zugegeben, in dem englischen Märchen von den drei kleinen Schweinchen geht es nicht unbedingt um ein Platzproblem. Das Märchen erzählt uns die Parabel von Leichtfertigkeit und Bequemlichkeit contra solides Planen und Vorsorgen. In diesem Sinne lässt sich auch das wichtige Thema Nachverdichtung in Städten und Gemeinden betrachten. Mehr als 1,4 Millionen Menschen wohnen derzeit in München. Bis 2030 ist ein Bevölkerungswachstum von elf Prozent vorausgesagt. Das Amt für Wohnen und Migration geht laut Monika Betzenbichler, der Leiterin der Abteilung Soziale Wohnraumversorgung und stellvertretende Amtsleiterin, von geschätzten 1,8 Millionen Einwohnern im Jahr 2035 aus.
Neue Flächen für den Wohnungsbau gibt es in München und dem Umland? Fehlanzeige! Nachverdichtung ist also nötig, könne aber kein Allheilmittel sein, so Stadtrat Michael Kuffer. „Das gibt es generell nicht, höchstens ein Heilmittel mit Nebenwirkungen“, sagt er und wirft damit einen Blick auf das weite Problemfeld, das Nachverdichten mit sich bringt. „Nachverdichtung muss es geben!“, fordert Sabine Herrmann vom Mietshäusersyndicat. „Wie sonst lässt sich bezahlbarer Wohnraum schaffen?“ Tja, wie? Wie lässt sich günstiges Wohnen in München realisieren? Wie schafft man sozialverträglichen Wohnraum, damit auch Menschen in niedrig bezahlten Einkommensgruppen vernünftig wohnen können?
„Derzeit gibt es 13.500 vorgemerkte Haushalte, die gern in eine sozial geförderte Wohnung kommen möchten“, berichtet Betzenbichler. „Davon gehören 10.000 in die Dringlichkeitsstufe eins. Und wir vermitteln üblicherweise pro Jahr 3.000 Wohnungen. Jeder vierter Haushalt kommt also an eine Wohnung. In diesem Jahr haben wir aber ein besonderes Jahr. Wir werden mehr Wohneinheiten haben. Weil wir „Wohnen für alle“ realisieren.“
Wo sollen wir in Zukunft wohnen?
Das Wohnungsbauprogramm „Wohnen für alle“ steht für günstiges Bauen. Das Pilotprojekt dafür steht am Dantebad als Haus auf Stelzen für Berufsanfänger, Alleinerziehende und anerkannte Flüchtlinge. Weitere Projekte folgen. „Überhaupt macht sich die Stadt München sehr viele Gedanken darüber, wo die vielen Menschen wohnen können“, so Betzenbichler. „Festgeschrieben sind die Pläne im Handlungsprogramm „Wohnen in München VI“. Das halte ich für etwas Bahnbrechendes, für ein großes Werk mit vielen Möglichkeiten. Es stecken 850 Millionen Euro Fördergelder drin."
Dieses Programm „Wohnen in München“ hat in seiner 27-jährigen Geschichte schon 157.000 Wohnungsbauten auf den Weg gebracht. „Ich finde diese Erfolgsgeschichte toll. Der Schwerpunkt muss ganz eindeutig auf „bezahlbarem“ Wohnraum liegen. Es kann nicht sein, dass Leute, die in München arbeiten, sich hier das Wohnen nicht leisten können“, ärgert sich Immobilienmakler Matthias Wandl. Davon seien nicht nur untere Einkommensgruppen betroffen. „Berufsanfänger haben ebenfalls wenig Chancen. Ganz zu schweigen von der Situation, wenn Nachwuchs kommt.“
Dem Schlagwort „Bezahlbares Wohnen“ folge aber sofort die Überlegung, wie viel Wohnen in München koste. Darüber müsse es mehr Aufklärung geben, fordert Handwerkskammerpräsident Franz-Xaver Peterandl. „Die Auflagen beim Bauen sind einfach zu hoch. Unter 3.000 Euro pro Quadratmeter ist nichts zu machen. Dabei muss sich ein Mieter zehn, elf Euro pro Quadratmeter leisten können. Mit den momentanen Baukosten ist das nicht zu machen.“ „Und der Grund kosten 2.500 Euro pro Quadratmeter“, so Wandl. „Da weiß man doch, was am Schluss rauskommt. Das geht nicht, das funktioniert nicht.“
Wie sollen wir es bezahlen?
Im Umland sieht es etwas besser aus. „Bei uns ist die Spanne zwischen 8,50 und elf Euro durchaus realisierbar, vor allem wenn die Kommune den Grund für Null hergibt oder selber baut“, berichtet Starnbergs Bürgermeisterin Eva John. „Ich sehe die Kommunen immer in der Pflicht, sich diesbezüglich Gedanken zu machen.“ Aber alles auf die Kommune abzuwälzen, könne nicht die Lösung sein. „Die Leute müssen selber aktiv werden!“, fordert Sabine Herrmann, „und Wohnpolitik in der Ich-Form betreiben. Bezahlbarer Wohnraum ist ein äußerst dehnbarer Begriff. Dazu gehören solidarische Mieten, das München-Modell und viele neue Wohnformen.“ Auch Wohnen für Hilfe, die Unterstützung von Wohngemeinschaften und Mehrgenerationenwohnen sind denkbare Wohnalternativen.
Zum Stichwort „Bauen“ gibt es in der Gesprächsrunde eine Menge zu sagen. Vor allem Thomas Schimmel als geschäftsführender Vorstand der Wohnungsgenossenschaft München-West hat damit einige Erfahrung. „München tut viel für die Förderung des Wohnungsbaus“, erklärt er. „Aber: Wir haben im Westend ein Ausbaupotenzial von rund 100 Wohnungen im Dachgeschossbereich. Das sind riesige Flächen. Wir scheitern leider regelmäßig an den hohen Auflagen des Denkmal-, des Brandschutzes oder an der Frage der Stellplätze. Wir investieren viel Geld in Planungen und können doch nicht bauen, weil zum Beispiel die Stützen im Dach nicht versetzt werden dürfen. Das sind praktische Dinge, mit denen wir uns leider herumschlagen.“ Und noch ein Problem bewegt ihn: „Wir stoßen vor und während der Bauvorhaben regelmäßig auf massive Widerstände aus der Nachbarschaft und aus der eigenen Mitgliedschaft.“
Mit städtebaulicher Zielvorstellung
Nachverdichtung heißt in der Regel höher, enger, dichter und wird leider auch mit Flächenversiegelung, Luftverschmutzung, kollabierendem Verkehr und schrumpfenden Grünflächen assoziiert. Sollen sich Städte durch Nachverdichtung nicht selbst zerstören, müssen klare Rahmenbedingungen geschaffen werden.
„Vielleicht muss man den Leuten unangenehme Wahrheiten zumuten", meint Michael Kuffer. "Wohnungsbau ist absolut notwendig. Und je mehr wir bauen, desto eher können wir die Mietpreise im Griff behalten. Gleichzeitig schaffen wir Bedarfe und setzen Spiralen in Gang. An vielen Stellen quälen wir uns dabei städtebaulich und bauen womöglich am Bedarf vorbei. Das ist sehr schade, kommt aber leider vor.“
„Ich wünsche mir dafür eine übergeordnete Koordination, die eine Zielsetzung vor Augen hat, Ausgleich schafft und die Stadt als Gesamtes betrachtet“, so Schimmel, „die vielleicht sogar vorher festlegt, was alles möglich ist und nicht auf die Planung der Investoren reagiert!“
Leute mitnehmen!
Die städtebaulichen Zielvorstellungen sollten im Dialog entwickelt werden, konstatiert Kuffer. „Ich meine den Dialog zwischen den Referaten, zwischen Nachbarkommunen und natürlich mit den Bürgern. Die Bürgerbeteiligung muss auch einen Gestaltungsspielraum zulassen, sonst gehen die Leute mit schlechter Laune nach Hause und der Ärger ist vorprogrammiert.“ Das Amt für Wohnen und Migration versucht schnell und ausführlich zu informieren. "Vor allem wenn wir „Wohnen für alle“ planen, ist die Begeisterung in der Nachbarschaft überschaubar“, so Betzenbichler. „Es ist wichtig, dass wir wirklich früh und rechtzeitig miteinander über die Pläne reden. Sonst fühlen sich die Anwohner überrumpelt. Jeder Mensch braucht Zeit, sich auf neue Situationen einzustellen. Wenn Bauen gelingen soll, müssen wir die Bürger mitnehmen.“
Mehr Gestaltungsspielraum wünscht sich auch Herrmann als Vorstand des ersten bayerischen Mietshäusersyndikats. „Wir sind an einem leerstehenden Haus in Thalkirchen dran, das wir von der Stadt bekommen könnten. Dort wollen wir für 30 bis 50 Menschen bauen. Und ähnlich wie in unserem ersten Projekt 2007 in der Ligsalzstraße planen wir von Anfang an Gemeinschaftsräume zum Treffen und Ratschen, für Veranstaltungen und Kinderbetreuung ein, übrigens auch für die gesamte Nachbarschaft.“
Nachverdichten lasse sich auch ohne Wohnungsbau, wenn sich Leute bewusst für kleinere Wohnungen entscheiden. „Der Klassiker sind alte Leute, die sich räumlich verkleinern“, erläutert Peterandl. „Auch hier bedarf es Aufklärungsarbeit und ein Aufeinander-Zugehen.“
Das gebe es! „Die großen Wohnungsbaugesellschaften wie die GWG oder die Gewofag haben Sozialarbeiter, die auf Leute zugehen, sprechen und im besten Fall einen Wohnungstausch begleiten“, antwortet Betzenbichler. „Die Wohnsituationen müssen passen. Dann ist allen geholfen.“
Offen sein!
Kuffer schlägt einen „New Deal“ mit den Münchnern vor. „Der müsste beinhalten: Dichte/ Formen/ Architektur. Die Frage der Dichte ist oft viel zu abstrakt. Ich warne vor Automatismen, denn Wohnungsbau muss nicht gleich Beton in großen Mengen heißen! Wir müssen auch die Beeinträchtigungen vor Augen haben, wie auch nackte Bauherreninteressen und das geltende Baurecht. Der Weg kann auch nur sein: lokal vor Ort in den Kommunen entscheiden.“
Aber ist das nicht auch Aufgabe der Politik, die rechtlichen Bedingungen flexibel zu halten? „Natürlich!“, bestätigt Eva John. „Ich kann als Kommune viel vorgeben und muss mich allerdings auch klar an die einmal aufgestellten Regeln halten.“ Wie überall im gesellschaftlichen Umgang geht es auch beim Nachverdichten um das richtige Maß, um das Zuhören und das offene Gespräch aller Beteiligten, um die Geduld und Toleranz miteinander. „Und zwar bereits in der Planungsphase!“, meint John. „Nicht alles den Investoren überlassen! Natürlich steht Wirtschaftlichkeit ganz oben auf der Liste. Aber alles hat einen Gestaltungsspielraum und nur im Dialog kann man diesen sinnvoll für alle füllen.“
Eine märchenhafte Frage
"Wem lesen Sie heute noch Märchen vor?" Unsere Gäste antworteten:
Monika Betzenbichler: "Eigentlich lese ich keine vor. Und ganz selten lese ich selbst eines."
Sabine Herrmann: "Ich fühle mich eher wie das Schweinchen im Märchen, bin lieber aktiv und gestalte mein Märchen vom bezahlbaren Wohnraum lieber selber."
Eva John: "Ich erfinde lieber welche, als welche vorzulesen."
Michael Kuffer: "Meinen vier Kindern lese ich manchmal eines vor."
Franz Xaver Peteranderl: "Im realen Leben bekommen wir von der Politik viel zu viele Märchen aufgetischt. Das reicht mir."
Thomas Schimmel: "Ich finde Märchen als zu grausam, daher lese ich auch meinen Kindern keine vor."
Matthias Wandl: "Ich habe meiner Tochter früher lieber meine eigenen Geschichten vorgelesen."
Unsere Gäste
Bei unserem Sommergespräch diskutierten:
Monika Betzenbichler (Leiterin Abteilung Soziale Wohnraumversorgung, Amt für Wohnen und Migration, LHM)
Sabine Herrmann (Mietshäuser Syndikat und Wohnprojektinitiative "El Caracol")
Eva John (Bürgermeisterin Starnberg)
Michael Kuffer (stv. Vorsitzender CSU-Stadtratsfraktion München und Bundestagskandidat München Süd)
Franz Xaver Peteranderl (Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern)
Thomas Schimmel (Geschäftsführender Vorstand Wohnungsgenossenschaft München-West e.G.)
Matthias Wandl (Rimaldi-Immobilienmakler)
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Unsere Sommergespräche
Alle unsere Sommermärchen finden Sie online hier: www.mehr-wissen-id.de (Nr. 2506).
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