"Eine Energiewende kann nicht ohne Frauen entworfen werden"
"Women in Energy"-Preisträgerin Katharina Habersbrunner über sozial- und geschlechtergerechte Energiepolitik
Katharina Habersbrunner ist Projektmanagerin und Vorstandsmitglied der Organisation "Women Engage for a Common Future" (WECF) und Sprecherin der "Münchner Initiative Nachhaltigkeit" (MIN). Seit vielen Jahren setzt sich die Wahlmünchnerin für eine geschlechtergerechte Energiepolitik ein. Im Rahmen der EU Sustainable Energy Awards wurde sie für ihren ausdauernden und außergewöhnlichen Einsatz, Geschlechtergerechtigkeit in einer nachhaltigen Energiewende zu verankern, von der Europäischen Kommission bei der EU Sustainable Energy Awards 2020 in der Kategorie "Women in Energy" ausgezeichnet. Elisabeth Schönberger-Seubert sprach mit ihr über ihre Motivation, aktuelle Projekte sowie Ziele und Hindernisse einer geschlechtsspezifischen und sozial gerechten Energiewende.
"Ein Grund, mich für erneuerbare Energie zu engagieren"
Sie sind auf einem Bauernhof aufgewachsen. Wo genau war das und inwiefern inspirierte es Sie dazu, sich der Umwelt und dem Klima zu widmen?
Katharina Habersbrunner: Ich bin auf einem Bauernhof in der Oberpfalz bei Regensburg aufgewachsen, in einem Dorf mit sieben Bauernhöfen, einer Kapelle und einem Gasthaus. Das Gasthaus wurde von meinen Eltern bewirtschaftet und mittlerweile von meiner Nichte übernommen. Meine Eltern waren keine „Biobauern“, aber die Nähe zur Natur und das Wissen über Bäume, Pflanzen und Getreideanbau haben mich schon immer fasziniert. Ich kann mich noch sehr gut an die kontroversen Diskussionen meiner älteren Geschwister erinnern, ob nach der Hofübergabe auf biologische Landwirtschaft umgestellt oder in Richtung industrielle Landwirtschaft intensiviert werden soll.
Was mich wohl auch sehr geprägt hat, waren die politischen Diskussionen in unserer Gastwirtschaft, in der ich als Schülerin und Studentin als Bedienung ausgeholfen habe: Die kontroversen Gespräche über Atomenergie, die Auseinandersetzungen um die geplante Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf 1985. Dieser Stil, die Energiepolitik für eine hochriskante Technologie gegen den Willen einer breiten Bevölkerung von oben zu bestimmen war auch ein Grund, mich gegen Atomenergie und vor allem für erneuerbare Energie zu engagieren. Und viele dieser Aktiven von "damals" sind die Pioniere für die erfolgreiche Entwicklung der Energiewende von unten, getragen von Bürgerinnen und Bürgern.
"Elf Prozent sind von Energiearmut betroffen"
In welchen Ländern sind Sie mit Ihren Projekten tätig und wie viele verschiedenen Projekte sind das?
Katharina Habersbrunner: Bei WECF bin ich für die Klima- und Energieprojekte zuständig. Wir realisieren Projekte in Ostafrika (Uganda, Äthiopien), in Marokko, in Osteuropa, im Kaukasus (Ukraine, Republik Moldau, Georgien, Armenien) und auch in den EU-Ländern.
Derzeit sind es in der Tat sehr viele und verschiedene Projekte, bei denen es um die Reduzierung von Energiearmut geht: Circa elf Prozent der EU-Bevölkerung – 54 Millionen Europäer*innen – sind von Energiearmut betroffen, das ist einfach unglaublich viel. Zu viel. Wir arbeiten viel mit Energiegemeinschaften und mit verschiedenen Technologien, z.B. Photovoltaik, solarthermische Anlagen, Biogas, Briketts, Gebäudeisolierung. Die Menschen planen, entwickeln und betreiben gemeinsam erneuerbare Energieanlagen und nutzen diese Energie, wie z.B. in Deutschland die Energiegenossenschaften.
Diese Arbeit sieht in den Projektländern oft ganz anders aus. Menschen geben in der Ukraine oder Georgien ca. 30 Prozent des Einkommens für Energie aus, was zu weit verbreiteter Energiearmut führt. Soziale und kooperative Strukturen sind fragil und geprägt von einem tiefen Misstrauen gegenüber Autoritäten. Hier entwickeln wir Pilotprojekte, binden die Menschen von Beginn an ein und zeigen die vielfältigen Vorteile einer dezentralen und erneuerbaren Energieversorgung auf. Menschen schließen sich zusammen, planen, finanzieren und betreiben gemeinschaftlich zum Beispiel Photovoltaik-Projekte. Hier geht es nicht nur um Energieproduktion und Technologien. Demokratische Strukturen werden gestärkt, die eigene Energie vom Dach ist sauber und bezahlbar, Arbeitsplätze werden geschaffen, Menschen schaffen sich Gestaltungsspielraum und nutzen ihn, was in zentralistisch organisierten Ländern eine große Herausforderung ist. Durch Qualifizierung von Frauen und Männern und projektübergreifende Begleitung stellen wie die Nachhaltigkeit der Maßnahmen sicher.
"Der Energiebereich ist männlich dominiert"
Mit ihrem Engagement tragen Sie dazu bei, Frauen und Männern den Zugang zu bezahlbarer und umweltfreundlicher Energie zu ermöglichen. Wie sieht das konkret aus?
Katharina Habersbrunner: Ca. 840 Millionen Menschen leben ohne Zugang zu Strom. Die gute Nachricht ist, dass die Zahlen sinken, aber wir hinken weltweit den nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen die für 2030 festgelegt wurden (sustainable Development Goals SDGs) auch im Bereich Energie hinterher. Die Stromversorgung der entlegensten Gebiete bleibt eine große Herausforderung. Bei den Projekten in Uganda und Äthiopien informieren wir die Menschen über die Möglichkeiten erneuerbarer Energie und befähigen sie, die Technologien anzuwenden, für den privaten Haushalt und auch in landwirtschaftlichen Genossenschaften. Der Energiebereich ist in den meisten Ländern noch sehr männlich dominiert. Obwohl Frauen die Energieversorgung im Haushalt managen, Frauen weniger CO2-intensiv leben und grundsätzlich stärker vom Klimawandel betroffen sind.
Unser Ziel ist es, Frauen gleichermaßen anzusprechen, sie zu befähigen die Technologien zu verstehen und anzuwenden und grundsätzlich die Arbeit und Projekte von Frauen sichtbar zu machen. Die geschlechtergerechte Umsetzung der Projekte planen wir von Beginn an mit ein. D.h. Genderinstrumente wie Repräsentanz von Frauen in Gremien, Frauen-empowerment und grundsätzlich Vermittlung von Gender-Expertise sind Projekt-Maßnahmen. Hier spielen zum Beispiel eine geschlechtergerechte Sprache und Kommunikation eine sehr wichtige Rolle. Sprache und Kommunikation setzen Signale und prägen, wie wir denken, was wir sehen und für möglich halten. Geschlechtergerechte Kommunikation beschränkt sich nicht auf die Sprache allein. Sie zeigt sich z.B. auch in der Auswahl von Bildern oder Beispielen: Welches Geschlecht zeigt sich auf Webseitenfotos und bei welcher Aktivität? Oft sehen wir im Energiebereich Bilder und Filme mit mehrheitlich weißen Männern oder ‘männlichen’ Piktogrammen. Somit wird das männlich geprägte Image des Energiesektors verstärkt und der dringend benötigte Wandel hin zu Geschlechtergerechtigkeit unterbunden. All dies berücksichtigen wir bei den Projekten.
"Politiker*innen agieren rückwärtsgewandt"
Sie haben sich der Einhaltung der Menschenrechte und der Gleichstellung aller Geschlechter verpflichtet, um eine gerechte Klima- und Energiepolitik umzusetzen. Welche Faktoren sehen Sie bei Ihrem Einsatz aktuell als größte Hindernisse an?
Katharina Habersbrunner: Nun, unser Wirtschaftssystem, basierend auf Wachstum und Gewinnmaximierung ist nicht in Einklang zu bringen mit Klima- und Umweltschutz. Warum lassen wir es zu, dass unser Energiesystem bestimmte Teile der Erde und v.a. die Menschen, die dort leben, ausbeutet, damit die Gewinne maximiert werden und dazu klimaschädliche Technologien weiter subventioniert werden? Gleichzeitig geht es um die Machtansprüche der jetzigen mächtigen fossilen Akteure, die nicht in der Lage sind, ihre Geschäftsmodelle anzupassen und weiter Kohle abbauen und nach Gasvorkommen suchen.
Positiv ist, dass die technologischen und Preisentwicklungen der erneuerbaren Energien sehr dynamisch sind. Solarenergie ist in der Produktion unschlagbar günstig und kann größtenteils verbrauchsnah hergestellt werden. Das größte Hindernis sind die fehlenden Rahmenbedingungen für eine ambitionierte und dezentrale Energiewende bis 2030. Hier scheint es so, dass die Politiker*innen auf die Lobbyisten der fossilen Energie hören, das heißt rückwärtsgewandt statt zukunftsweisend agieren. Auch in Deutschland geht es darum, die Hemmnisse für den Einsatz von erneuerbaren Energien zügig abzubauen.
Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft gilt es, neue Begeisterung für eine dezentrale Energiewende zu entfachen und im politisch-gesellschaftlichen Diskurs die Vorteile eines dezentralen Energiesystems mit 100 Prozent erneuerbaren Energien klar darzustellen. Wenn Deutschland hier als Industrieland ambitioniert vorangeht, hat es sicherlich Signalwirkung.
"Es fehlt an der Berücksichtigung der Genderperspektive"
Was könnte Ihrer Meinung nach die Politik besser machen, um eine geschlechtsspezifische und sozial gerechte Energiewende zu fördern?
Katharina Habersbrunner: Es bestehen gute verbindliche Rahmenbedingungen, Konzepte und Gesetze, die Energieziele festschreiben, wie z.B. der Nationale Energie- und Klimaplan (NECP), der Klimaschutzplan 2050, die Agenda 2030, der European Green Deal oder im Münchner Koalitionsvertrag das Ziel, einen Photovoltaik-Zubau von 15 Megawatt pro Jahr zu erreichen. Gleichzeitig fehlt es diesen Rahmenbedingungen an der Berücksichtigung einer Genderperspektive, sowie an der Kohärenz einer sektorenübergreifenden Umsetzung der Regelungen. Denn es gibt sie bereits - die ambitionierten Pläne für Geschlechtergerechtigkeit, wie z.B. die EU Gender Equality Strategy oder die Gleichstellungsziele der Stadt München.
Diese Ziele müssen gemeinsam gedacht werden. Wir werden die Klimaziele nicht erreichen, wenn die soziale Schere weiter auseinander geht, Energiewende ein elitethema bleibt und sich viele Menschen abgehängt fühlen, keine Zeit, kein Geld und nicht die Kenntnis haben, klimafreundlich und ökologisch zu leben. Die Energiewende ist nicht nur ein technologisches Projekt, es ist ein gesamtgesellschaftliches soziales Projekt. Dafür brauchen wir unsere ganze Power, von Frauen, Männern, allen Menschen unterschiedlichen Geschlechts, Alters, Herkunft, etc. Diese wichtigen sozialen Dimensionen müssen sich auch in den Energie- und Klimazielen widerspiegeln und nicht nebenher betrachtet werden. Diese Grundsätze der Geschlechtergerechtigkeit und Klimagerechtigkeit, die Einhaltung der menschenrechtlichen Verpflichtungen, das Recht auf Gesundheit sowie den Erhalt der Ökosysteme sind auch in der Präambel des Pariser Klimaabkommens festgelegt.
"Hinterfragen und Möglichkeiten nutzen"
Inwiefern kann Ihrer Meinung nach jede/r einzelne zu einer geschlechtsspezifischen und sozial gerechten Energiewende beitragen?
Katharina Habersbrunner: Wir können hinterfragen, warum mehrheitlich Männer über 50 in der Kohlekommission vertreten waren, in der es um unsere zukünftige Energiepolitik geht. Wir können Möglichkeiten nutzen, die jede und jeder hat, um die Energiewende voranzubringen, zum Beispiel zu einem Ökostromanbieter wechseln, Mitglied bei einer Energiegenossenschaft werden, an den Stromanbieter schreiben, wenn mehrheitlich männliche Darstellungen in der Werbung verwendet werden. In eigenen Verbänden das Thema soziale und Geschlechtergerechtigkeit auf die Tagesordnung bringen und für die Entscheidungsträger*innen Trainings oder Kurse dazu organisieren.
"Das Thema gewinnt an Bedeutung"
Was bedeutet es Ihnen, die Auszeichnung der EU Sustainable Energy Awards erhalten zu haben?
Katharina Habersbrunner: Es bedeutet Wertschätzung und Anerkennung unseres und meines Engagements für eine sozial- und geschlechtergerechte Energiewende. Allein die Einführung der Kategorie „Women in Energy“ zeigt, dass das Thema an Bedeutung gewinnt. Ich habe mich wirklich sehr darüber gefreut und möchte auch nochmal meinen Kolleg*innen danken, da wir vor allem gemeinsam die Projekte erfolgreich umsetzen.
"Partizipation aller Bevölkerungsgruppen"
Liegt Ihnen noch etwas auf dem Herzen, das Sie unseren Lesern gerne mitteilen würden?
Katharina Habersbrunner: Ich bin sehr davon überzeugt, dass wir mit einer dezentralen, sozial- und geschlechtergerechten Bürgerenergiewende heute das „Richtige“ tun und damit einen nachhaltigen Strukturwandel und eine gerechte und resiliente Gesellschaft für morgen ermöglichen. Eine Energiewende, die für alle funktionieren soll, kann nicht ohne Frauen entworfen werden. Denn wenn die Energiewende schnell genug sein soll, um die Klimaschutzziele zu erreichen, ist die Partizipation aller Bevölkerungsgruppen der einzige Weg.
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