"Das Raubtier in den Käfig sperren!"
Christian Vorländer über das Blutvergießen in Syrien, Placebos in der Sicherheitspolitik, bunt blinkende Wanzen und den Verlust der sozialen Balance
Diesmal will er es packen: 2009 trat Christian Vorländer (SPD) erstmals zur Bundestagswahl an, unterlag als Direktkandidat im Münchner Süden aber Peter Gauweiler. Nun versucht der 39-jährige Rechtsanwalt es erneut und setzt dabei auf die Erststimmen auch der Grünen. Mit Christian Vorländer sprach Johannes Beetz im Literaturhaus.
"Frieden ist nicht von heute auf morgen zu schaffen"
Der Krieg in Syrien stellt uns wieder vor eine schwierige Entscheidung: Soll Europa eingreifen? In den vergangenen 20 Jahren war der Westen mit seinen Versuchen, Frieden zu schaffen, wenig erfolgreich.
Christian Vorländer: Ich wurde selbst in einem Bürgerkriegsland geboren, im Libanon, in Beirut, dem "Paris des Nahen Ostens". Es herrschte zunächst Frieden. Dann hat meine Familie die Erfahrung gemacht, wie dieses Land in Krieg und Blut stürzte. Deshalb beschäftigt mich die Lage in Syrien sehr stark. Wie lässt sich verhindern, dass furchtbare Verbrechen, vielleicht sogar mit Chemiewaffen geschehen? Die großen Fragen von Krieg und Frieden treibt sehr viele Menschen um.
Ich fühle mich stark an den Irakkrieg 2003 erinnert, der unüberlegt und ohne Not mit Lügen und Halbwahrheiten vom Zaun gebrochen wurde. Wir haben auch in Afghanistan die Erfahrung gemacht, dass man mit Krieg nicht ohne weiteres Frieden machen kann - erst recht nicht in so komplexen Krisenherden wie im Nahen Osten. Ich weiß das, weil ich dort gelebt habe. Meine klare Botschaft ist: Kein Krieg für Frieden!
Es ist ein Irrglaube, man könne mit einem Militärschlag eben so mal die Verhältnisse zum Besseren wenden. Frieden zu schaffen ist ein vielschichtige Aufgabe, die nicht von heute auf morgen zu bewältigen ist. Natürlich wollen wir alle, dass das Blutvergießen in Syrien ein Ende hat. Wenn es Giftgasangriffe auf die Zivilbevölkerung gegeben hat, müssen die Verantwortlichen dafür zur Rechenschaft gezogen werden, nach Möglichkeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Dafür mache ich mich persönlich stark, wenn ich nach dem 22. September dem Bundestag angehöre.
"Krieg ist keine antiseptische Angelegenheit!"
Mich hat empört, als John Kerry sagte, das die USA nur einen "begrenzten Militärschlag" planen. Wer Krieg erlebt hat, weiß, dass Krieg keine antispetische Angelegenheit ist, die unter Kontrolle zu halten wäre. Man hat uns schon im Irakkrieg nur die Präzisionscomputerbilder gezeigt, nicht das Blutvergießen, nicht das Leid der Bevölkerung, nicht das Umkommen völlig Unbeteiligter. Wir erleben wieder diese Augenwischerei, die uns alle aufschrecken sollte.
Das Assad-Regime ist ohne Frage eines, das ich mir weg wünsche, es ist aber nun mal der Machtfaktor in Syrien. Es ist gut, das auf russisches Drängen Syrien seine Giftgasbestände vernichten will. Im Moment ist zum Glück viel in Bewegung. Ich hoffe, dass daraus konkrete Schritte Richtung Frieden entstehen. Alles, was einen Militärschlag abwenden kann, ist besser für die Menschen als das, was Obama & Co. geplant haben.
"Wir müssen aus unseren Fehlern endlich lernen!"
Sie haben darauf hingewiesen, dass auch auf Rebellenseite furchtbare Verbrechen begangen werden. Die Lage ist kaum zu durchschauen. Welche Optionen haben wir überhaupt?
Christian Vorländer: Was tut not? Wir brauchen eine zivile Konfliktregelung, das Ringen um eine diplomatische Lösung. Das gilt auch im Kleinen bei persönlichen Auseinandersetzungen, jeder weiß das: Man keinen einen Konflikt nur lösen und bewältigen, wenn alle Beteiligten einbezogen werden. Das ist dringend erforderlich. In Ägypten läuft das gerade furchtbar schief: Man kann nicht einfach eine entscheidenden Gruppierung wie Mursi - immerhin den von der Mehrheit gewählten Präsidenten - völlig aus dem politischen Prozess herausnehmen. Das führt zwangsläufig zu Instabilität.
Ich sehe im Syrienkonflikt auch die Chance, dass die Rolle der Vereinten Nationen wieder gestärkt werden, sie haben in den vergangenen Jahren eine völlig untergeordnete Rolle gespielt. Die Vereinten Nationen haben sich teilweise selbst gelähmt, teilweise wurden sie entmachtet. Aber das Gewaltverbot der UN-Charta muss wieder mehr Gewicht bekommen.
Ich vermisse bei der Bundesregierung eine klare Haltung. Aber nur damit kann man sich in einer Diskussion bemerkbar machen und das Richtige durchsetzen. Meine Überzeugung: kein Militärschlag (das würde alles nur noch schlimmer machen wie im Irak und Afghanistan). Wir sollten aus diesen Erfahrungen einer verfehlten "Antiterrorpolitik" bitteschön endlich lernen und nicht dieselben Fehler begehen wie in den vergangenen Jahren.
"Verfehlte Sicherheitspolitik korrigieren"
Die Anschläge vom 11. September haben auch bei uns die Frage neu gestellt, wie Freiheit und Sicherheit ausbalanciert werden sollten. NSA-Affäre und Snowden-Enthüllungen zeigen einmal mehr, wie weit die Überwachung längst geht. Wo stehen Sie zwischen Freiheit und Sicherheit?
Christian Vorländer: Wer die Freiheit hergibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren: Dieser Satz von Benjamin Franklin ist der Leitspruch meiner Kandidatur. Sicherheit? Ja selbstverständlich - aber nicht auf Kosten der Freiheit. Ich halte die Sicherheitspolitik seit 2001 für völlig verfehlt, das sind dramatische Fehlentwicklungen, die ich als Bundestagsabgeordneter gerne korrigieren würde. Wenn man das Prinzip der Unschuldsvermutung aufgibt und im Grunde eine ganze Religion, den Islam, unter Generalverdacht stellt, schafft das nicht mehr Sicherheit, sondern Zwietracht, Hass und neue Konflikte. Das ist die Folge einer überzogenen, fast schon hysterischen Sicherheitspolitik.
Denken Sie an die Breivik-Attentate in Norwegen 2011. Die norwegische Regierung hat bewundernswert und richtig reagiert: Am selben Tag hat Ministerpräsident Stoltenberg die deutliche Botschaft gesandt: "Wir lassen unser offene, freie Gesellschaft nicht kaputtmachen!" Der souveräne Kurs der politischen Entscheidungsträger in dem unendlichen Schmerz hat mir imponiert. Genauso hätte man nach den Anschlägen des 11. September reagieren müssen.
"Der Preis für gefühlte Sicherheit ist zu hoch"
Oft sind Sicherheitsgesetze nur ein Placebo, damit sich die Leute sicherer fühlen, obwohl sie es in Wahrheit gar nicht sind. Jeder Preis, den man zahlt, um dieses vermeintliche Gefühl von Sicherheit zu bekommen, ist ein zu hoher und ein falscher Preis. Freiheit gehört zu den höchsten Gütern - ohne sie ist alles nichts. Daran orientiere ich mein politisches Handeln: Alle Sicherheitsgesetze gehören auf den Prüfstand!
Die NSA-Affäre zeigt doch, mit welch maßlosen Methoden die Geheimdienste arbeiten und täglich millionenfach die Grundrechte von uns allen mit Füßen treten. Merkel tut nichts zur Aufklärung und hofft, dass die Bevölkerung des Thema nicht in der Brisanz wahrnimmt, in der es stattfindet.
Wir verlieren unsere Glaubwürdigkeit: Wie wollen wir als westliche Welt erklären, dass die Universalität der Menschenrechte gilt, dass bürgerliche und Freiheitsrechte überall gelten müssen, wenn wir selbst unser Grundrechte massiv verletzen?
"Ein Smartphone ist auch eine Wanze"
Der Wert der Freiheit geht auch deswegen verloren, weil sie für uns so selbstverständlich geworden ist. Die geringe Wahlbeteiligung, aber auch der sorglose Umgang mit den eigenen Daten in sozialen Netzwerken zeigt, wie gedankenlos viele von uns diese grundlegenden Werte selbst gefährden.
Christian Vorländer: Ich möchte versuchen, die jüngere Generation für die Gedanken- und Sorglosigkeit in sozialen Netzwerken zu sensibilisieren. Da besteht viel Nachhilfebedarf. Ich möchte kein Szenario a la Orwell. Dagegen stemme ich mich mit allem was ich habe. Ich will nicht, dass private Unternehmen wissen, was ich verdiene, wie ich lebe. Ich will nicht den gläsernen Bürger, aber wir sind auf dem besten Weg dorthin. Ich appelliere an alle Kids: Denkt daran: Ein bunt blinkendes Smartphone, das alles machen kann, ist letztlich auch eine Wanze - sowohl für die Sicherheitsbehörden als auch für private Unternehmen, die euer Geld abgreifen wollen.
Eines Ihrer zentralen Thema ist Gerechtigkeit: Die Schere zwischen Arm und Reich geht aber gerade immer weiter auseinander. Wir diskutieren über die hohen Mieten in München, über die Einführung von Mindestlöhnen, über die minimale Rentenerhöhung: Fast jeder ist in irgendeiner Form betroffen.
Christian Vorländer: Neben Frieden und Freiheit ist das ein Grund , warum ich schon mit 15 Jahren - das ging nur mit einer Ausnahmegenehmigung - der SPD beigetreten bin. Für mich kam nie eine andere Partei in Frage, weil sie für diese drei Themen steht.
"Bundespolitik kann unendlich viel tun"
Mit der Agenda 2010 hat die SPD in den Augen vieler diesen Anspruch aber aufgegeben.
Christian Vorländer: Da setze ich ganz andere Akzente. Ich stehe dezidiert für eine Politik der sozialen Gerechtigkeit. Das fängt in München damit an, dass die Politik in der Verantwortung steht, für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen. Es kann nicht sein, dass die Miete nahezu die Hälfte des Einkommens auffrisst. Die Bundespolitik kann unendlich viel tun, um die Mietpreisspirale in Ballungsträumen zu stoppen.
"Die Mietpreise begrenzen"
Welche Möglichkeiten sind das?
Christian Vorländer: Die Mietpreisbegrenzung bei bestehenden Mietverträgen - das muss noch wirkungsvoller gemacht werden.
Die Mietpreisbegrenzung bei Neuvermietungen - das wurde bisher sträflich vernachlässigt und von der Bundesregierung versäumt.
Die Bezahlung der Maklergebühren muss im Mietrecht geändert werden. Es kann nicht sein, dass sie regelmäßig dem Mieter aufgebürdet werden, der verzweifelt eine Wohnung sucht und gar keinen Makler beauftragt hat.
Dafür werde ich mich als Münchner Bundestagsabgeordneter in Berlin einsetzen. Wenn wir das umsetzen, sind wir einen entscheidenden Schritt weiter.
"Das Raubtier in den Käfig sperren"
Wir haben eine immer ungerechtere Vermögensverteilung. Ich stehe für eine Politik der sozialen Balance - z.B. in der Euro-Krise. Die Lasten tragen die Arbeitnehmer, die Rentner, die Jugend in ganz Europa. Die Verursacher müssen endlich an den Kosten beteiligt werden und dürfen nicht von der Krise profitieren Der Finanzsektor kennt nur eine einzige Aufgabe: sich selbst zu befriedigen. Inzwischen verstehen selbst Finanzexperten nicht mehr die Produkte und abenteuerlichen Konstrukte, die sie entwickeln.
Ich sehe uns in der Pflicht, den jungen Menschen in Europa Arbeit, Hoffnung und Perspektive zu geben, auch wenn das Geld kostet. Das ist wahre Solidarität. Als es uns vor über 60 Jahren schlecht ging, hat man uns geholfen. Jetzt geht es anderen schlecht. Aus der Krise kommen die betroffenen Länder nur, wenn ein kräftiges Wachstum angekurbelt wird und die Menschen nicht überfordert werden.
"Wirtschaft muss den Menschen dienen"
Die Wirtschaft ist für die Menschen da, nicht umgekehrt. Das haben viele vergessen. Nichts wurde aus der Finanzkrise gelernt. Wir müssen diesen Casino-Kapitalismus beenden und den Raubtier-Kapitalismus in einen Käfig sperren. Wir brauchen eine gerechte Balance mit klaren Finanzmarktregeln, gleiche Besteuerung und eine Wirtschaft, die den Menschen dient - und nicht eine, in der einige Einzelne gigantische Gewinne für nichts und wieder nichts einfahren.
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