„Jeder junge Mensch hat das Potential seinen Weg zu gehen“
Von der Hauptschule in den Bayerischen Landtag: Gülseren Demirel kam über Umwege zu ihrem Traumjob
Gülseren Demirel weiß, wie steinig der Weg sein kann, wenn das Leben nicht den direkten Weg nimmt. „Es gab in meinem Leben immer Hürden, die ich meistern musste. Aber jeden Schritt, den ich vollendet habe, hat mir Selbstvertrauen gegeben. Ich bin daran gewachsen und wusste, was ich selbst in Lebenskrisen leisten kann“, sagt die 56-Jährige, die 1973 als „Gastarbeiter“-Kind mit ihren Eltern nach Deutschland gekommen ist und heute für die Grünen im Bayerischen Landtag sitzt.
„Ich war immer eine Macherin“
Nach ihrem Hauptschulabschluss hat Gülseren Demirel eine Zeit lang im Geschäft ihres Vaters gearbeitet, mit 20 Jahren geheiratet, ein Jahr später kam ihre Tochter zu Welt. „Und mit 23 Jahren habe ich mich scheiden lassen und war alleinerziehend“, erzählt sie. „Das war nicht einfach, auch was meine familiäre Seite angeht.“ Sie habe mit Anfang 20 auf eigenen Beinen stehen müssen. Keine einfache Situation, wie die Landtagsabgeordnete zugibt. Doch staatliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen sei für sie nie in Frage gekommen. „Ich war immer eine Macherin und wollte mir zudem selbst beweisen, dass ich es schaffe.“ Dieser Optimismus begleite sie bis heute. „Ich weiß auch, was Armut bedeutet und wie es ist, wenig Geld zur Verfügung zu haben und ein Kind versorgen zu müssen.“
Berufsbegleitende Ausbildung
Um Geld zu verdienen hat Gülseren Demirel als Putzfrau in einer Einrichtung der Arbeiterwohlfahrt (AWO) angefangen. Und weil sie sich schon immer für Menschen interessiert habe und helfen wollte, sei es bald dazu gekommen, vor Ort andere Leute zu unterstützen, „gerade im sprachlichen Bereich“, betont sie. „So bin ich schnell im operativen Bereich gelandet.“ Und so kam es zum nächsten Schritt: Berufsbegleitend hat Gülseren Demirel eine Ausbildung zur Sozialbetreuerin absolviert und damit gleichzeitig auch die Mittlere Reife gemacht – und das neben ihrem Vollzeitjob und als alleinerziehende Mutter. Gearbeitet hat sie nach ihrer Ausbildung im Beratungs- und Betreuungsdiensten für Migranten in München.
Zweiter Bildungsweg
Und weil auch der Gedanke an ein mögliches Studium immer wieder auftauchte, „habe ich dann noch mein Fachabitur gemacht und im Anschluss Diplom-Sozialpädagogik studiert.“ Beides berufsbegleitend, auf dem zweiten Bildungsweg. „Zwischenzeitlich bin ich Mitglied der Grünen geworden. Ich komme aus einer politischen Familie und wollte mich einbringen, um Dinge zu ändern“, erklärt Gülseren Demirel. „Für mich war immer klar, dass ich mich erst dann für ein politisches Mandat interessiere, wenn ich beruflich unabhängig bin.“
„Blick von außen“
Einer der Gründe, warum die 56-Jährige Mitglied einer Partei wurde, war die Konfrontation mit Rassismus, „den ich immer wieder erleben musste – zum Beispiel bei der Wohnungs- oder Arbeitssuche.“ Als Migrantin habe sie oft das Gefühl vermittelt bekommen, nicht dazu zu gehören. „Ich dachte lange Zeit, das liegt an mir. Aber durch die politische Auseinandersetzung habe ich gemerkt, dass dem überhaupt nicht so ist. Im Gegenteil: Das war immer nur der Blick von außen.“
„Ehrenamtliches Engagement ist wichtig“
Gülseren Demirel, die nach ihrem Studium als Sozialpädagogin für die AWO in München gearbeitet hat, ist zudem immer schon ehrenamtlich tätig gewesen – unter anderem in Interessenvertretungen für Migrantengruppen. „Ehrenamtliches Engagement ist in einer zivilen Gesellschaft sehr wichtig“, betont sie. „Ich würde Jugendlichen immer raten, sich ehrenamtlich zu engagieren. Es geht nicht darum, wie viel Zeit man zur Verfügung hat, sondern, dass man sich beteiligt. Zudem nimmt man sehr viel für sich persönlich mit und kann Dinge oder Probleme aus einer anderen Sicht betrachten“, so die Grünen-Politikerin weiter. „Ich denke, ehrenamtliche Tätigkeiten machen auch in Bewerbungen einen positiven Eindruck.“
Chancengerechtigkeit
Natürlich weiß Gülseren Demirel, dass es nicht für jeden im Leben so funktionieren kann, wie es das bei ihr getan hat. „Umso wichtiger ist es, dass wir das Thema Chancengerechtigkeit weiter anpacken. Es ist immer noch ein steiniger Weg, gerade für Kinder mit Migrationshintergrund oder aus Arbeiterfamilien“, betont sie. „Das Ganze ist kein intellektuelles, sondern ein strukturelles Problem. Das zu verändern ist mir sehr wichtig.“ Sie weiß, dass es auch dazu gehört, einmal hinzufallen. „Wichtig ist nur, dass man wieder aufsteht. Man darf nie den Glauben an sich verlieren, egal, was andere sagen. Es geht darum, ein Ziel zu haben, das erreichbar ist. Jeder junge Mensch hat das Potential, seinen Weg zu gehen.“
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