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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
"Gibt’s dich wirklich?"
Nikolaus Dietmar Prell ist seit über fünf Jahrzehnten unterwegs
Dietmar Prell ist Nikolaus - seit fünf Jahrzehnten. Angefangen hatte das alles beim Arbeitsamt - das suchte für den Studentenschnelldienst in den 70er Jahren Nikoläuse. Prell erfüllte damals alle für nötig erachteten Eigenschaften, die ein Nikolaus haben muss: Er war groß, bayerisch, "pädagogisch". Prell sieht den Nikolaus als Freund und Anwalt der Kinder. So schulte er bald seine Kollegen im Nikolaus-Diemst des Arbeitsamtes.
Erinnern Sie sich an Ihren ersten Einsatz als Nikolaus? Wie war das - und waren Sie da nicht viel angespannter oder auch erwartungsfroher als die Kinder?
Dietmar Prell:
Meine ‘Einarbeitung’ durch Herrn Ruppert (!) W. im Studentenwerk in München war kernig: “Wenn Sie als Kind von einem Nikolaus besucht wurden, kennen Sie sich ja aus”. Ende. Im Nikolaus-Schnelldienst des Arbeitsamts mitmachen zu dürfen, war eine besondere Ehre, weil damals nur 6 handverlesene Studenten für ca. 50 Besuche in München zuständig waren.
40 Jahre später waren es etwa 60 Nikoläuse für ca. 2.200 Besuche. Also durfte nichts schiefgehen! Für alle Fälle hatte ich viele Kopien mit Nikolausliedern und -geschichten dabei, es musste ja für 40 Minuten Besuchszeit, schlimmstenfalls als Monolog, ausreichend sein. Den Kindern war das egal: "Was ist die Lieblingsspeise von deinem Elch? Wie geht Schlittenfahren ohne Schnee? Bist du schon Mal im Kamin steckengeblieben? Gibt’s dich wirklich? Hast du eine Frau? Sind deine Engel immer brav? Bist zu wirklich 1.600 Jahre alt?” Mein Problem war, ob man als Heiliger lügen darf. Um Zeit zu gewinnen, legte ich mehrere Glühweinpausen ein. Die Qualität meiner Antworten wurde dadurch auch nicht besser, aber es machte mir weniger aus. Bei der Verabschiedung gab’s ein Extratrinkgeld und eine Terminvereinbarung fürs nächste Jahr. So schlimm kann’s also nicht gewesen sein.
Während der Corona-Zeit war vieles nicht möglich - und Nikolaus im Home Office oder mit Kontakteinschränkungen ist ja auch nicht machbar. Wie sind Sie als Nikolaus durch diese Zeit gekommen?
Dietmar Prell:
Genau genommen feiere ich dieses Jahr mein 52. Jubiläum, aber die letzten zwei Jahre zähle ich nicht, da ich in voller Überzeugung wegen Corona pausiert habe. Der heilige Nikolaus, "Freund der Kinder" wird zum "Superspreader"? Das gab keinen Sinn. Ich habe dafür in zahlreichen Interviews Alternativen vorgeschlagen: Stiefel rausstellen wie früher, Kinder verkleiden einen Elternteil oder sich selbst, als Nikolaus und verteilen gegenseitig Lob und Tadel, Geschenke für alte, einsame oder erkrankte Personen malen oder basteln und kontaktlos verteilen. Ich verstehe den Nikolaus als Vorboten des Weihnachtsfestes, also geht’s um Innehalten, Beschaulichkeit und Gutes tun. Der "Drive-in-Nikolaus" auf dem Firmenparkplatz, der Krampus, der die Geschenke auf einer Kinderrutsche kontaktlos schubst, Kinder die die Geschenke einsacken, werden wieder nach Hause gefahren. So eine Bescherung! Den Nikoläusen, die das so oder so ähnlich gemacht haben, ging es nicht um "‘leuchtende Kinderaugen", sondern nur um den eigenen Profit.
In fünf Jahrzehnten verändert sich die Welt ein gewaltiges Stück. Wie haben sich Ihre Nikolaus-Besuche verändert? Vermissen Sie etwas von früher? Sind Kinder (und Eltern) heute anders als vor 50 Jahren?
Dietmar Prell:
In den ersten 30 Jahren habe ich Kinder-Nikolaus gemacht, später dann vor allem (Groß-)Veranstaltungen. In den Familien gab’s anfänglich "Apfel, Nuss und Mandelkern", später Playstation. Die Geschenke wurden mehr, die Hausmusik weniger. Bei Firmenfeiern wurde es immer g’spinnerter. Ich erinnere mich an eine Solo-Nacht-Fahrt im Sessellift aufs Brauneck, anschließend mit einer Pistenraupe zu einer Hütte, dann einen saunaähnlichen Auftritt und dann klatschnass wieder nach Hause.
Die "staade Zeit", die jetzt beginnt, ist alles mögliche - nur eben selten wirklich ruhig und entspannt. Kaum eine Zeit ist hektischer als die vor Weihnachten. Wie blickt der Nikolaus auf uns Menschen im "Hamsterrad"?
Dietmar Prell:
Es gibt eine fast philosophische Redensart: "Wenn die staade Zeit endlich vorbei ist, werds a wieda ruhiga.”
Worauf freuen Sie sich am meisten als Nikolaus und in der (Vor-)Weihnachtszeit?
Dietmar Prell:
Bei den Familienbesuchen waren die "glänzenden Kinderaugen" das Tollste. Als Student und später als Unternehmensberater war die Nikolausgage willkommenes "Weihnachtsgeld". Die letzten Jahre war es das Tollste, wenn ich endlich den weißen, 10 cm langen Natur-Rauschebart kahlschlagen konnte. 1.400 Jahre jünger!
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