„Jahrelange Defizite“
Lehren und Lernen unter verschärften Bedingungen

Zu den Versäumnissen der letzten Jahre gehört nicht nur, mehr Lehrer an die Schulen zu bringen: Zuletzt hatte die Elternschaft der Grundschule an der Fürstenrieder Straße vor knapp einem Jahr auf die baulichen Probleme im über 100-jährigen Schulgebäude aufmerksam gemacht und einen Schulerweiterungsbau auf dem Grundstück an der Agnes-Bernauer-Straße gefordert. Aktuell wird die Fläche vom „Café Steinchen“ zwischengenutzt. (Foto: kö)
Durch Corona wird vieles wie unterm Brennglas sichtbar. Deutlicher als zuvor zeigt sich, wo Mängel und Missstände bestehen oder Probleme und Konflikte eigentlich schon länger schwelen. Corona rückte auch die Schulen in den Fokus. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) mit seiner Präsidentin Simone Fleischmann erklärte, dass jahrelange Versäumnisse in der Personalplanung der Grund für den aktuellen Lehrermangel seien. Aus Sicht einiger Elternbeiräte besteht das Problem auch an Laimer Grundschulen. „Jahrelange Defizite“ beim Schulausbau und in der Personalplanungen benennt etwa Frank Bernhardt, stellvertretender Elternbeiratsvorsitzender an der Grundschule Fürstenrieder Straße. Martin Zückert, Elternbeiratsvorsitzender an der Grundschule an der Droste-Hülshoff-Straße pflichtet bei: „Dass die Zahl der Lehrkräfte seit Jahren auf Kante genäht ist, wird in dieser Sondersituation besonders sichtbar.“ Und Sonja Maier, Elternbeiratsvorsitzende der Grundschule an der Schrobenhausener Straße sagt: „Die Personalsituation war und ist sehr angespannt.“
„Alle Klassenleitungen im Dienst"
350 Schüler besuchen die Grundschule an der Fürstenrieder Straße. Laut Schulleiterin Beate Kopp-Sesar sind 28 Lehrkräfte beschäftigt (davon 16 als Klassenleitungen, zwei Religionslehrer, auch Pfarrer und Lehrkräfte in der Ausbildung, sowie vier sogenannte Mobile Reserven). „Derzeit sind alle Klassenleitungen im Dienst und gesund“, erklärt Kopp-Sesar auf Anfrage. Wenn eine Lehrkraft erkrankt, würde die Schulleitung versuchen eine Mobile Reserve zu bekommen. „Ob das dann gelingt, kann niemand vorhersagen“, so die Rektorin. „Es könnte eng werden.“
Der Lehrermangel zeige sich jedoch „an dem geringen Spielraum der Lehrer für individualisierten, kreativen und vielseitigen Unterricht“, meint indes der stellv. Elternbeiratsvorsitzender der Fürstenrieder-Grundschule, Frank Bernhardt. Nachdem jüngst Lehrer an andere Schulen entliehen werden mussten, sei „geregelter Unterricht nur durch den Einsatz und die Überstunden der Lehrerschaft gesichert“, so Bernhardt.
An der Schule in der Fürstenrieder Straße fehlen zudem auch andere Kapazitäten: Seit vielen Jahren beklagt die Schule ihre Raumnot und fordert einen Erweiterungsbau. Das benachbarte städtische Grundstück an der Agnes-Bernauer-Straße wird offiziell auch dafür vorgehalten. Gebaut aber wird bislang nicht. Eine Machbarkeitsstudie wurde zwar in Auftrag gegeben, die Ergebnisse (die heuer präsentiert werden sollten) liegen jedoch noch nicht vor.
„Zeitweise ohne Konrektorat“
Auch an der Grundschule in der Schrobenhausener Straße mangelt es laut Elternbeiratsvorsitzender Sonja Maier an Lehrkräften: „Immer wieder fallen Lehrkräfte im laufenden Schuljahr aus.“ Diese habe man bislang durch die sogenannten Mobilen Reserven ersetzen können. Jedoch musste auch die „Schrobi“ Personal an die im Nebengebäude untergebrachte Mittelschule abtreten, da dort der Lehrermangel noch stärker gewesen sei. „So stand die Schulleitung zeitweise ohne Konrektorat da“, meint Sonja Maier. Mit Corona habe sich die Situation zusätzlich verschärft, weil manche Lehrer zur Risikogruppe zählen und deswegen ausfallen. An der Grundschule an der Droste-Hülshoff-Straße fehlen laut Elternbeiratsvorsitzenden Martin Zückert „Kapazitäten, um auf akute Problemlagen eingehen zu können.“
Etliche Mehraufgaben hatten die Schulen in den vergangenen Monaten zu stemmen, was viele an ihre Grenzen brachte. Um die Herausforderung zu meistern, braucht es jeden. „Gerade in diesen Zeiten brauchen wir Zusammenhalt und den habe ich glücklicherweise an der Grundschule Fürstenrieder Straße“, sagt Kopp-Sesar.
„Geregelter Unterricht nur durch Überstunden“
Frank Bernhardt, stellv. Elternbeiratsvorsitzender der Grundschule Fürstenrieder Straße
Das Wohl unserer Kinder in der Schule hängt maßgeblich am Engagement der Lehrer und den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln. Lehrermangel an unserer Grundschule zeigt sich an dem geringen Spielraum der Lehrer für individualisierten, kreativen und vielseitigen Unterricht. Da zum Schuljahresbeginn vier Lehrer an andere Schulen abgerufen wurden, ein Dutzend Unterrichtsstunden pro Woche an der benachbarten Mittelschule geleistet werden und jede Klasse damit 0,95 Lehrer bzw. Lehrerinnen hat, ist ein geregelter Unterricht nur durch den Einsatz und die Überstunden der Lehrerschaft gesichert. Der Förderverein und die Eltern unserer Schule arbeiten auch gegen die jahrelangen Defizite in den Ausbau- und Personalplanungen. Wir engagieren uns für ein motivierendes Schulleben für die Kinder und die Lehrer an unserer Zukunftsschmiede „GS Fürst 30“. Vonseiten der offiziellen Stellen würden uns mehr substanzielle Unterstützung beim Wandel zu einer technisch, personell und didaktisch bestens gerüsteten Schule wünschen, in der die Lehrerschaft den notwendigen Freiraum für richtig guten Unterricht hat.
„Situation hat sich weiter verschärft“
Sonja Maier, Elternbeiratsvorsitzende der Grundschule an der Schrobenhausener Straße
Die Personalsituation war und ist sehr angespannt. Immer wieder fallen Lehrkräfte im laufenden Schuljahr aus, konnten aber bisher durch mobile Reserven ersetzt werden. Auch muss die Grundschule Personalkapazität an die Mittelschule abtreten, da dort der Mangel noch gravierender ist. Während der Corona-Zeit hat sich die Situation allerdings weiter verschärft: da einige Lehrkräfte zu einer Risikogruppe gehören, fallen sie komplett aus. So stand die Schulleitung zeitweise ohne Konrektorat da. Derzeit erschweren die Hygieneauflagen den Ablauf: Die Schulleitung berichtet, dass aufgrund der gestaffelten Pausenzeiten für die Lehrkräfte keine Zeit bleibt, zur Toilette zu gehen, ohne die Aufsichtspflicht zu verletzen – ein untragbarer Zustand. Sollten weitere Lehrkräfte erkranken, ist der Betrieb kaum mehr aufrecht zu erhalten, da die Klassen nicht durchmischt werden dürfen. Von AGs, die in den vergangenen Jahren immer angeboten wurden, wagt niemand mehr zu sprechen.
Die vom Kultusministerium so hoch gelobten Teamlehrkräfte sind meist nur bedingt qualifiziert, an einer Grundschule tatsächlich die Lehrkraft im Präsenzunterricht zu ersetzen. Die jetzige Situation zeigt schonungslos auf, dass in den vergangenen Jahren versäumt wurde, ausreichend Personal für die Grund- und Mittelschulen auszubilden und einzustellen.
„Seit Jahren auf Kante genäht“
Martin Zückert, Elternbeiratsvorsitzender der Grundschule an der Droste-Hülshoff-Straße
Der Lockdown und die Zeit reduzierten Unterrichts waren ein harter Einschnitt. Ich bewundere, wie viele Kinder das hinbekommen haben. Für den Distanzunterricht war an der Schule Organisationstalent gefragt. Soweit möglich haben wir als Elternbeirat versucht zu unterstützen. Dass die Zahl der Lehrkräfte seit Jahren auf Kante genäht ist, wird in dieser Sondersituation besonders sichtbar. Soweit ich es beurteilen kann, hat das neue Schuljahr trotz der Einschränkungen gut begonnen. Aber es fehlen Kapazitäten, um auf akute Problemlagen eingehen zu können. Als Problem sehe ich, dass an der Schule pandemiebedingt keine Veranstaltungen wie ein Adventsbasar möglich sind. So fehlen Treffpunkte, bei denen Lehrkräfte, Eltern und Kinder ins Gespräch kommen können. Wenn Bürgermeister derzeit die Zulassung von Weihnachtsmärkten in Städten erwägen, sollten sie sich auch über Spielräume für Veranstaltungen an Schulen spätestens im Frühjahr Gedanken machen. Man sollte Grundschulen nicht ausschließlich auf ihre „Lernfunktion“ reduzieren, sie liefern auch im Kleinen den sozialen Kitt für unsere Gesellschaft.
„Den Beruf attraktiver machen“
Beate Kopp-Sesar, Rektorin der Grundschule an der Fürstenrieder Straße
Mangelt es an Lehrern?
Beate Kopp-Sesar: Momentan mangelt es noch nicht an Klassenleitungen, weil alle gesund sind. Wenn eine Lehrkraft erkranken würde, würden wir versuchen eine Mobile Reserve zu bekommen. Ob das dann gelingt, kann niemand vorhersagen. Es könnte sehr eng werden.
Wie überbrücken Sie die Lücken?
Beate Kopp-Sesar: Die Lücken könnte man nur überbrücken, indem eine Lehrkraft zwei Klassen für eine kurze Zeit im Pausenhof (getrennt und mit Masken) betreut. Es können keine Klassen – wie bisher üblich – auf die anderen Klassen aufgeteilt werden. Stundenweise könnten vielleicht "freie" Lehrkräfte einspringen.
Worauf hoffen Sie?
Beate Kopp-Sesar: Ich hoffe auf möglichst lange gesunde Lehrkräfte; dass wir lernen, mit dem Virus auf lange Sicht zu leben; entspanntere Kinder ohne Corona-Ängste; mehr Zeit für soziale Projekte, um die Kinder auffangen zu können; möglichst keine Schulschließungen mehr, auf Planbarkeit für wenigstens vier Wochen; auf einen Digitalisierungsschub im Schulhaus und den Klassenzimmern; und vor allem wünsche ich mir gesunde (physisch wie psychisch) Kinder und Lehrkräfte, die positiv in die Zukunft schauen können.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Beate Kopp-Sesar: Studenten gewinnen für das Grundschullehramt, den Beruf attraktiver machen (es ist ein wunderbarer Beruf!!) und dies kommunizieren. Eine Lösung wären wirklich mehr Lehrkräfte für die Schulen zu gewinnen.
Wofür sind Sie dankbar?
Beate Kopp-Sesar: Danke meinem wunderbaren Kollegium und der gesamten Schulfamilie, dass alle Maßnahmen mitgetragen werden und bestmöglich umgesetzt werden können. Gerade in diesen Zeiten brauchen wir Zusammenhalt und den habe ich glücklicherweise an der Grundschule Fürstenrieder Straße.
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