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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
"Existenzielle Fragen für die gesamte Schöpfung"
Rudi Amannsberger hält eine Kanzelrede über den Ersten Korintherbrief
Zu einem Schöpfungsgottesdienst lädt die Simeonsgemeinde am Sonntag, 13. Juni, ein. Beginn ist um 10 Uhr in der Simeonskirche (Stiftsbogen 74). Rudi Amannsberger, Parlamentarischer Berater im Bayerischen Landtag für die Fachbereiche Klima-und Energiepolitik, hält eine Kanzelrede über den Ersten Korintherbrief des Paulus. Die musikalische Begleitung übernimmt der Organist Vladimir Steingard.
Tanja Beetz befragte Rudi Amannsberger zu Themen wie Nachhaltigkeit, die junge und die alte Generation und den Korintherbrief.
"Meist falsch verstanden"
"Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan" heißt es im 1. Buch Mose. Das haben wir Menschen fast überall auf dem Planeten getan und stehen nun erschrocken vor den Folgen. Im Umgang mit der Schöpfung ist da wohl etwas gründlich schief gelaufen. Hätte Gott seinerzeit Adam und Eva nicht besser auch ein Sätzchen über Nachhaltigkeit gesagt?
Rudi Amannsberger: Nach meinem Verständnis wird das "und macht sie euch untertan" meist falsch verstanden, als Gewaltverhältnis des Menschen gegenüber der Natur. Für mich ist das ja die Folge aus der Vertreibung aus dem Paradies, in dem den Menschen noch alles geschenkt war. Nun aber ging es darum sich selbst zu versorgen und dazu musste ein Verhältnis zur umgebenden Natur aufgebaut werden, das aus Sammeln, Jagen und irgendwann auch aus Landwirtschaft bestand. Die Nachhaltigkeitsthematik kommt für mich in der Bibel erst später, etwa beim Tanz um das goldene Kalb oder beim Turmbau zu Babel oder natürlich auch bei der Arche Noah.
"Es geht auch um Nächstenliebe"
Klimapolitik wird in den Parlamenten gemacht - und spätestens seit Greta auch auf der Straße. Warum ist für Sie Kirche der richtige Ort, darüber zu sprechen?
Rudi Amannsberger: Beim Klimawandel geht es um existenzielle Fragen für die gesamte Schöpfung, die wir ja als Schöpfung Gottes betrachten und nicht als zufälliges Ereignis, oder als "Naturkapital". Aber es geht eben auch um den Menschen und damit auch um Nächstenliebe. Mit der Klimapolitik wird ganz entscheidend über Wohl und Wehe zukünfiger Generationen entschieden. Es ist aber auch eine Gerechtigkeitsfrage in vielerlei Hinsicht: nicht alle werden in gleicher Hinsicht zu leiden haben, und es wird viele Unschuldige treffen, spätere Generationen oder Völker, die vergleichsweise wenig zum Klimawandel beigetragen haben. Klimaschutz ist daher auch ein wichtiger Baustein für ein geschwisterliches Zusammenleben.
"Auch ein Generationenkonflikt"
Nachhaltigkeit beschäftigt besonders die junge Generation … meint man. Doch Moment mal: Die Generationen davor haben sich mit Atomkraft, Sauerem Regen und Ozonloch beschäftigt und den Umweltschutz auf die politische Agenda gebracht. Erinnern wir uns: Auch die Demokratiebewegung in der DDR hatte umweltpolitische Wurzeln. Ist der Generationenkonflikt, der mitunter in die Klimadebatte gelegt wird ("Ihr nehmt uns unsere Zukunftschancen"), also Blödsinn?
Rudi Amannsberger: Natürlich ist es auch ein Generationenkonflikt - das hat ja auch das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich gesagt. Letztlich waren auch die Anti-Atom-Bewegung oder die Umweltbewegung zum Ozonloch oder zum Sauren Regen schon Nachhaltigkeitsbewegungen. Und alle drei Bewegungen erkannten langfristigen Gefahren für zukünftige Generationen. Es ging ja bei allen diesen Bewegungen darum, dass der aktuelle Lebensstil oder die aktuelle Wirtschaftsweise ganz stark die nachfolgenden Generationen negativ beeinflusst.
"Braucht's des?"
Andererseits: Gesellschaften brauchen immer wieder Impulse von ihren jungen, vielleicht auch mal etwas zu "forschen" Gliedern, um sich zu bewegen. Diese Erfahrung haben die biblischen Händler im Tempel ja auch gemacht - mit einem nicht nur unbequemen, sondern auch mal richtig randalierenden Jesus. Was erhoffen Sie sich von den "Jungen"? Und Hand aufs Herz: Wo könnten die "Alten" ein bisserl beweglicher sein?
Rudi Amannsberger: In vielen Punkten: Wir tun ja heute manchmal so, als ob das Leben vor 30 Jahren noch ganz fürchterlich gewesen wäre. Tatsächlich sind wir heute nicht wirklich glücklicher als vor 30 Jahren. Was wäre so schlimm, wenn wir zum Lebensstandard der 90er Jahre zurückkehren würden, um den zukünftigen Generationen etwas mehr Möglichkeiten zu geben. Man sollte sich einfach immer wieder diese kurze Frage stellen: "Braucht's des?" bzw. "Brauch' ich des wirklich". Vielleicht findet man dann schon von ganz allein, das, was einem wirklich wichtig ist.
"Für einen kurzfristigen Genuss"
Zum Korinther-Brief: "Alles ist erlaubt - aber nicht alles nützt", schreibt Paulus darin. Auch wenn wir heute eher "Alles ist machbar" denken: Ist dieser biblische Gedanke nicht immer noch ein guter "Kompass" für Entscheidungen - gerade in der Klimapolitik?
Rudi Amannsberger: Ja, der Gedanke ist wirklich sehr wichtig. Vieles in unserer heutigen Lebensweise wird ja einfach unhinterfragt akzeptiert oder gar gut geheißen. Nur ein Beispiel: Im Wirtschaftsteil der Zeitung wird immer gejubelt, wenn der Welthandel zugenommen hat. Warum eigentlich? Was ist der Vorteil, wenn möglichst viele Waren durch die ganze Welt verschoben werden? Geht es uns heute so viel besser, weil das Spielzeug aus China kommt und die Kleider aus Bangladesh. Geht es den Menschen in Afrika besser, weil Deutschland Hähnchenfleisch nach Afrika verkauft? Wir jagen oft vermeintlichen Idealen hinterher, für einen kurzfristigen Genuss oder eine aktuelle Mode. Ich komme auf die vorherige Frage zurück: "Braucht's des?"
"Es geht um einen bewussten Umgang"
Paulus und Sie haben eines gemeinsam: Um Ihre Botschaft an den Leser zu bringen, nutzen Sie Papier. Die Alternative "digital" hinterlässt inzwischen gewaltige ökologische Fußabdrücke und erreicht einige Personengruppen schlicht nicht. Wenn wir Ressourcen nutzen, sollten wir also darauf achten, dass wir sie für einen sinnvollen Zweck verwenden. Wäre es manchmal nicht nachhaltiger, zu einem Buch oder einer Zeitung zu greifen, anstatt Filme zu streamen, stundenlang im Internet zu surfen oder in "sozialen" Medien zu daddeln?
Rudi Amannsberger: Das ist sicher auch ein gutes Beispiel. Dabei will ich Internet und soziale Medien keineswegs schlecht reden. Es geht - wie bei so vielem - um einen bewussten Umgang damit. Und der ist zweifellos schwierig, gerade bei den bildgesteuerten sozialen Medien und im Internet. Zum einen weil mit den Bildern viele Emotionen geweckt werden und zum andern weil beides enorme Geschäftsfelder geworden sind. Und durch diese vielen, schnellen Eindrücke und Nachrichten werden ganz rasch Gefühle geweckt werden und bei dieser Fülle der Nachrichten und Emails werden diese Gefühle gar nicht mehr bewusst wahrgenommen und bedacht. So entstehen dann schnell Shitstorms, Falschmeldungen bis hin zur Aufregungs- und Hass-Kultur. Zur Entschleunigung und zur Bewusstseinsbildung ist es sicher oft besser Phasen ohne Internet zu haben.
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