Zwei Frauen am Ende
Schräge Performance, wo die U-Bahn nicht weiter kann
Zwei Frauen machen es sich auf dem Platz neben der U-Bahn-Endstation gemütlich. Packen Sitzmöbel, Instrumente und Getränk aus, machen merkwürdige, aber irgendwie auch bekannt klingende Musik, erzählen von den Knackpunkten der Existenz, hier, jetzt, schon länger, demnächst wahrscheinlich auch noch. Sie sind ihre eigene Installation, tragen Grün wie die Hoffnung, sind ganz klar ein Fremdkörper. Hingehen, gucken? Kurz aussteigen aus den üblichen Verrichtungen?
Mit "Gorgeous Green" bringen Julia Wahren und Karina Erhard sich als Musikperformance im öffentlichen Raum an Endstationen des U-Bahnnetzes - am Freitag, 28. April, um 14 Uhr am Laimer Platz (Bus 51 Aidenbachstraße) und um 16 Uhr in Fürstenried West (Schweizer Platz). Sie bringen schräge Performance in Viertel, wo sie sonst nichts verloren hat; wo Leute vorbeikommen, die man anders anspricht als an Avantgarde-Schauplätzen in der Innenstadt. Die Performance oszilliert zwischen traditionellem Straßentheater und experimenteller Improvisation. Bekanntes wie Blues und Rap lädt zum Stehenbleiben ein und entführt in weniger vertraute Gebiete wie die freie Improvisation. Provokant satirische, sozialkritische Texte driften ins Sprachspiel und wieder zurück.
Mal anders auf alles gucken
Gorgeous Green fragt: Wie komme ich – ohne mich ernährenden Job, ohne ausreichend Geld, ohne Perspektive – aus dem Frust raus? Was mache ich mit den sonstigen Katstrophen, am Horizont und auch gern schon etwas näher? Was mache ich mit Wut und Angst? Und was macht trotzdem noch Spaß? Die Antworten bleibt Gorgeous Green weitgehend schuldig. Dafür ist Kunst ja auch nicht da. Aber zum Fragen schon, zum Schnell-mal-eben-anders-Begucken der Notstände. Das darf auch lustig sein, lebendig und kämpferisch.
Das kurzzeitige Kampieren auf allerhand Plätzen wie in Gorgeous Green genießt seit bald drei Jahren vermehrte Popularität. Wer sich irgendwo, wo es früher niemand tat, niederlässt, zitiert gleich eine neue Freizeitkultur. Und die Tatsache, überhaupt in der Öffentlichkeit zu spielen, ist schon Programm. Dass auch Künstler überleben und darum sichtbar bleiben müssen, ist nur ein kleiner Punkt unter anderen.
Das eigentlich Wichtige ist der Dialog, die Durchlässigkeit von Sprachweisen, Kulturen und sozialen Gruppen. Und das klare Bekenntnis zum Spiel. Das ist kein Zeitvertreib, keine Verzierung. Das ist das Potential zur Veränderung, zum Entdecken ganz neuer Möglichkeiten.
Zwei Künstlerinnen
Die Stimmkünstlerin und Performerin Julia Wahren (*1968) studierte an der Hochschule für Musik Detmold; Festengagements führten sie ans Deutsche Theater Göttingen und ans ETA-Hoffmann-Theater Bamberg. Seit 2006 lebt sie in München, macht Theater, Performance, Sound- und Voice Art, so u.a. bei den Internationalen Händel-Festspielen Göttingen und am Deutschen Haus New York City. Ihre Mulitmediaperformance Lurie's Lyrics (zusammen mit Rudolf Herz) wurde 2022 in den Münchner Kammerspielen uraufgeführt. In ihren Projekten erforscht sie die Grenzen zwischen Genres und Formen, Improvisation und Komposition. Sie erhielt zahlreiche Stipendien und als Autorin den Preis der Göttinger Alexanderstiftung.
Karina Erhard (*1972) ist Spezialistin für zeitgenössische Kammermusik, Improvisation und Performance und sucht in ihrer Arbeit häufig Begegnungen mit anderen Disziplinen. Klang ist ihr zentrales Thema, weshalb das Instrumentarium beständig wächst. Neben sämtlichen Querflöten spielt sie Saxophon und nutzt Gitarrenpedale zur Klangerweiterung. Sie studierte Querflöte in Amsterdam und Utrecht und besuchte Meisterkurse. Mit ihren Ensembles sowie als Solistin gewann sie mehrere Preise (u.a. den Gaudeamus-Preis für Improvisation) und spielte auf nationalen und internationalen Festivals. Zahlreiche Komponisten widmeten ihr Stücke. Mit dem Projekt „Roboterjazz“, bei dem sie in Dialog tritt mit interaktiven Musikrobotern, ist sie weltweit zu Gast auf Festivals.
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