Die Vesaliusstraße, eine alte Allacher Einkaufsstraße
Stadtteilhistoriker Dr. Walter G. Demmel berichtet (Teil 1)
Sie ist benannt nach Andreas Vesalius (1514-1564), Professor der Chirurgie und Anatomie in Padua, und hieß früher Süden- und ab 1933 Adolf-Hitler-Straße. Es ist etwas ungewöhnlich, dass man nach 1945 für Allach diesen berühmten Professorennamen aus dem 16. Jahrhundert ausgewählt hat. Aber es ist auch verwunderlich, dass man in unseren Tagen für das neue Einkaufszentrum den Namen „EVER.S“ gewählt hat; erst die ca. 500 m lange Vesaliusstraße führt zur Eversbuschstraße, die Hausnummer-Zählung beginnt ab Oertelplatz.
In der Süddeutschen Zeitung v. 23./24.05.2020 berichtete Berthold Neff in einem lesenswerten Artikel mit dem Titel „Star der Anatomie“ über den Professor Vesalius (Bild 1), dem auch zu entnehmen ist, dass der Autor in diesem Namen nach der NS-Zeit den Griff zur kurierenden Medizin sah, nachdem die braune Pest endlich vorüber war. Eine interessante Antwort auf meine anfangs gestellte Frage! Zu Andreas Vesalius schreibt B. Neff: „Aber er war ein Star, und die Mächtigen rissen sich um ihn. Er wurde Leibarzt des Habsburgers Karl.V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, und verbrachte die Zeit von 1550 bis 1554 in Augsburg, wo er die Neuauflage seiner ‚Fabrica’ vorbereitete. Als Karl V. abdankte, verpflichtete sich Vesalius bei dessen Sohn, Philipp II. von Spanien.“ Bei „Fabrica“ handelt es sich um den anatomischen Atlas von Vesalius mit dem ausführlichen Titel „De humani corporis fabrica libri septem“, den er schon im Alter von 28 Jahren schrieb. Nun wissen wir mehr zu unserem Straßennahmengeber.
Um die Vesaliusstraße als alte Einkaufsstraße aufzuzeigen habe ich in meinem Artikel „Ehemalige Geschäfte und Handwerker in unserem Stadtbezirk (Teil 3)“ vom Juli 2018 auch die Vesaliusstraße von Anfang Nr. 1 bis Nr. 20 die bis damals mir bekannten Geschäfte genannt. Es fehlten die Nummern 21-34. Inzwischen kenne ich auch diese und weiß einiges mehr und genauer, aber immer noch nicht alles so, wie ich es meinen Lesern gerne bieten möchte.
Auf der Suche nach alten Geschäften in der Vesaliusstraße stößt man unter anderen auf die „Allacher Zeitung“, deren Titelblatt mir hier (Bild 2) aus dem Jahr 1928 vorliegt und dem zu entnehmen ist, dass die Expedition und Inseratenannahme in der Südenstr. 5/links waren. Es handelt sich bei dem Blatt um Donnerstag, den 12. Juli 1928, 3. Jahrgang; die Zeitung gab es also erst seit 1925. Der Schriftleiter A. Wandl war in Allach bekannt. Albert Wandl betrieb in der damaligen Steinstr., später von-Steinstraße 1, der heutigen Nikolaus-Rüdinger-Straße, eine Druckerei.
Zuerst als Mieter von A. Wandl eröffnete Michael Gnugesser in der Südenstr. 20 eine „Konditorei mit Kaffee“, in dem er auch Bier und Wein ausschenken durfte. Es war bis in die 1960er-Jahre ein allseits geschätztes Tagescafé. Auf dem Grundstück Vesaliusstr. 20 steht heute die Volksbank Raiffeisenbank (Bilder 3 und 4). Mein Versuch, jedem einstigen Geschäft nachzugehen, scheiterte zunächst an der großen Anzahl und weiter an genaueren Angaben dazu. Vielleicht erreicht dieser Artikel interessierte und wissende Leser, die noch ergänzende Angaben machen können.
Etwas mehr ist mir zum Schuhhaus Baumann an der Ecke Vesaliusstr.13/ Franz-Nißl-Straße bekannt, da ich zum 90-jährigen Betriebsjubiläum einen Artikel verfaßt habe, der allerdings nicht in meinem Stadtteilbuch von 2017 erschienen war. Deshalb kann hier näher auf das allbekannte und beliebte Schuhgeschäft von Frau Lechner, der jetzigen Besitzerin, eingegangen werden. Nach einem noch vorhandenen Bauplan vom März 1923 für Herrn Joseph Baumann baute sich der gelernte Schuhmacher das Haus in der Südenstr. 13 (Bild 5). Noch im Jahr 1924 machte der 29-Jährige neben seiner Schusterei einen kleinen Schuhhandel auf und Schuh-Baumann wurde schnell zu einem Begriff für solides Schuhwerk im Verkauf und geschätzte Sorgfalt in der Reparatur. 1934 legte J. Baumann vor der Handwerkskammer von Oberbayern seine Meisterprüfung mit Erfolg ab und erhielt seinen Meisterbrief.
Das Haus wurde in folgenden Jahren unter Führung seiner kaufmännisch ausgebildeten Tochter Annelies Neumayr, hier das Familienwappen der Neumayrs (Bild 7) mehrfach umgebaut, d.h. vor allem die alten Verkaufsräume und die Schaufenster. Herr J. Baumann starb am 10. 02. 1974, seine Frau Anna am 06. 05. 1982. Nach dem Tod von Annelies Neumayr gab der Adoptivsohn das Geschäft im Dezember 2001 auf. Nach einer Zwischenphase übernahm Angelika Lechner, eine gelernte und versierte Schuhverkäuferin, das Schuhgeschäft (Bild 6) und führt es bis heute erfolgreich.
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