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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
Allach und die Diamalt AG in den Wirren der Revolutionstage 1918/19
Stadtteilhistoriker Dr. Walter G. Demmel berichtet
Donnerstag, der 7. November 1918, war ein warmer Herbsttag im hoffnungslos hungernden und kriegsmüden München.
Am 27. August 1914, auch an einem Donnerstag, hatte der Erste Weltkrieg mit der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien begonnen – Deutschland stand an der Seite der Donaumonarchie – und endete mit dem Sieg Englands und Frankreichs am 11. November 1918.
In der Nacht vom 7. auf den 8. November 1918 rief Kurt Eisner (1867-1919) von den Unabhängigen Sozialdemokraten Deutschlands (USPD) den Freistaat Bayern aus. Das bedeutete das Ende der Monarchie. Eisner (Bild 1) wurde der erste Ministerpräsident eines bayerischen Volksstaates und regierte mit seinem Kabinett in Kooperation mit den in Selbstverwaltung tagenden Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräten. Nach der katastrophalen Wahlniederlage der USPD in Bayern war Eisner mit seiner provisorischen Regierung zum Rücktritt gezwungen. Auf dem Weg zum neugewählten Landtag wurde er am 21. Februar 1919 von Graf von Arco auf Valley in der heutigen Kardinal-Faulhaber-Straße erschossen. Am 7. April 1919 wurde die Münchener Räterepublik ausgerufen. Drei Wochen lang kehrten wieder leidvolle kriegsähnliche Zustände zurück.
An zwei Tagen im November 1918 und im April 1919 erfaßte die Revolution auch Allach und die Nahrungsmittelfabrik Diamalt. Den Aktionären der Diamalt AG, eingeladen am 22. November 1919 vom Aufsichtsrat unter dem Vorsitzenden Felix Sobotka (Bild 2) und den Vorständen Albert Friedel und Ludwig Graf in die Geschäftsräume in der Sonnenstr. 5/1 (heute: Hotel Daniel), wurde berichtet, dass der Umsturz auch mit einer totalen Umwälzung der Arbeits- und Preisskalen Hand in Hand ging. Es setzte nun eine ungeheure und anhaltende Steigerung allen Bedarfs an Fabrikation und der Löhne und Gehälter ein, die gleichzeitig von einem starken Nachlassen der Leistungsfähigkeit der Arbeiter begleitet war. Der neue Achtstundentag, verbunden mit einer zwangsweisen Einstellung von überflüssigen Arbeitskräften, brachte eine Vervielfachung der betrieblichen Herstellungskosten mit sich. „Stark vergrößertes Arbeitskontingent leistete stark vermindertes Arbeitspensum. Die Arbeitsunlust erreichte in der Rätezeit ihren Höhepunkt. Noch 1917/18 war die Fabrik in Allach mit der Herstellung von Suppenwürze und Marmelade für das deutsche Heer stark beschäftigt und garantierte beste Qualität.“
Weitere Einschränkungen brachte die folgende Räte- und Revolutionszeit des Jahres 1919, von denen die Betriebschronik der Diamalt AG eine interessante Episode bereithält. Die Allacher Fabrik wurde nämlich bei Ausbruch der Revolution am 9. November 1918 durch Rotarmisten – einen Anführer und 15 Mann – zum angeblichen Schutz vor Plünderungen besetzt. Die vorliegenden Geschäftsberichte des Vorstands der Jahre 1913/14 bis 1923/24 im Münchner Wirtschaftsarchiv zeigen diese Ereignisse und die darauffolgende Entwicklung leider nur in äußerst knapper Form auf.
Im April 1919 war es dann umgekehrt: Die Fabrik war nun von einem Leutnant und 25 Mann der Weißen Garde besetzt, die aber auf Druck der „Roten“ dieselbe wieder verlassen mußten. Die Rotarmisten durchsuchten die Fabrik, sperrten die Herren Ensinger und Weber, die sich dort befanden, in ein Zimmer ein und drohten ihnen, sie zu erschießen, wenn ein Weißgardist in den Gebäuden gefunden würde. Nach vergeblicher Suche zogen sie jedoch wieder ab.
Die Kämpfe zwischen „Rot“ und „Weiß“ in München verwandelten die Geschäftsgegend von Diamalt in der Sonnenstraße 5 in ein Hauptkampfgebiet. So wurde vom Stachus und von der Landwehrstraße aus in Richtung Bürogebäude der Diamalt AG geschossen, aber nur einige Fensterscheiben und Aktenbündel zerstört. Trotz dieser Nachkriegswirren wurden in Allach 1919/20 die Kantine, der Hallenanbau und der Lagerhallenanbau fertiggestellt.
Edeltraut Klapproth (1909-2005), eine Allacher/Karlsfelder Kunstmalerin und Schriftstellerin, erzählt in ihrem Buch „Am Unterlauf der Würm“, wie sie als Kind die Apriltage 1919 in Allach mit der „Schlacht bei Dachau“ erlebt hat. Frau Klapproth bemerkt dazu, dass sie nur erzählt, was sie selbst gesehen hat oder wie ihre Kinderfragen beantwortet wurden. Die von ihr glaubwürdig geschilderten Ereignisse spielten sich alle am 15. April 1919 ab. Die Besetzung ihres Elternhausgartens durch Münchner Soldaten der Rotarmisten begann am frühen Morgen, und der Tag verging mit Laden der Kanonen, die vor dem Haus standen. Hinter dem Haus waren auch noch einige als Reserve aufgestellt.
Die von Klapproth gezeichneten (Bild 3) und von ihrer Mutter fotografierten Kanonen der „Roten“ vor ihrem heute denkmalgeschützten Elternhaus in der heutigen Eisolzrieder Str. 1 waren auf die Dachauer Schlossmauer gerichtet, wo die gegnerische Truppe, die „Weißen“, auf dem Schloßberg aufgestellt war. Klapproth selbst: „Es war neun Uhr. Da ging’s los! Wir sprangen aus den Betten! Das Haus wackelte buchstäblich durch die Erschütterung beim Kanonenabschuß vor der Haustür, wieder und wieder – neunmal.“ Leider kann aus Platzgründen der lesenswerte Zeitzeugenbericht nur in diesem Ausschnitt wiedergegeben werden.
Ein ganz persönliches Erlebnis eines damals noch lebenden Zeitzeugen schildert Rudolph in seinem Buch „Allach. Die Geschichte eines Stadtteils. Untermenzing“. Dieser berichtete ihm, dass er bei dem Vormarsch der „Roten“ auf Allach unbeobachtet eines ihrer Gewehre in die Würm geworfen und während der Mittagspause noch eine abgelegte Koppel mit Pistole an sich genommen habe. Daraufhin wollte er auch eine Telefonleitung der „Roten“ durchschneiden, wurde aber ergriffen und sollte als Saboteur erschossen werden. Der Fürsprache eines zufällig hinzukommenden Nachbarn hatte er zu verdanken, dass man den noch jugendlichen Täter wieder freiließ. Allerdings mußte er eine heftige Tracht Prügel einstecken.
Im Zusammenhang mit der Revolution noch eine Anmerkung zu einer damals höchst aktiven Frau. Die Untermenzingerin Rosa Aschenbrenner (1885-1967) wechselte, enttäuscht von der Politik der Mehrheitssozialdemokratie (SPD) unter Erhard Auer, 1917 zu den Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD), trat 1918 in den Bund sozialistischer Frauen ein und gehörte auch dem Münchner Revolutionstribunal an.
Weitere Anmerkungen zu Allach tauchen bei meinem Kollegen Paul Hoser auf, der in seinem Aufsatz „Dachau in der Münchner Revolution und Räterepublik von 1918/19“ Allach und das nächstbenachbarte Karlsfeld an einigen von mir ausgewählten Stellen in seine Darstellung miteinbezieht, so z.B.: „Als Vorposten sandte Schwandner noch einen Zug der Kompanie Schmidt mit zwei Maschinengewehren zur Lebensmittelfabrik in Allach (gemeint ist die Diamalt AG, Dem.) und eine starke Streife der Eskadron Hermann nach Karlsfeld.“ Oder: „Beim Bahnwärterhaus von Allach überraschten sie den Bahnbeamten beim Telefonat mit den Regierungstruppen. Sie zerschnitten die Telefondrähte und ritten weiter. Bei Allach stießen sie auf die roten Truppen.“
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